Montag, 14. August 2023

Dekore als Umsatzmotor?














Foto: Pixabay

Für die Puristen in der Produktentwicklung zählten Dekorationen schon immer als No-Go, bis hin zur Bewertung als „Kitsch“. Wie stark diese Einstellung innerhalb der Designerszene grassiert, zeigt z.B. die Initiative von Designguru Thun, der in einer Resolution das Recht des Konsumenten auf Kitsch einforderte und damit dessen Gesellschaftsfähigkeit dokumentieren wollte. 


Heute wollen wir uns einmal mit einer nicht so bekannten Sparte beschäftigen, mit Dekoren, deren Motive aus anderen künstlerischen Zweigen, Ereignissen oder Veranstaltungen stammen – z.B. aus der Comicszene oder aus Arbeiten von Modeschöpfern, und, nicht zu vergessen, aus Kinderbüchern oder aus saisonalen Anlässen. Bei den Porzellanherstellern sind diese „Anleihen“ besonders nach dem Abebben des „Designbooms“ besonders beliebt gewesen. Man erinnere sich nur an bei Rosenthal besonders geförderte Serien, wie die „Medusa“ von Versace oder die verschiedenen Motive des Popstars Häring. Auch die schwarz-rot-goldenen Dekore von Paloma Picasso bei V&B gingen in diese Richtung, wenn auch gesagt werden muss, dass nicht nur Motive, sondern natürlich auch klangvolle Namen ausschlaggebend für eine Realisierung der Entwürfe sind. 
Bei allen diesen Produkten liegt der Werbeeffekt auf der Hand: Medien bringen gerne Storys über aktuelle Künstler und deren Nebeneffekte. In den USA sind derartige Produkte das A und O so mancher PR-Strategie. Derzeit macht etwa die New Yorker Mode-Designerin Ulla Johnson mit ihren „Stil-Liaisonen“ für die ultimative Sommer-Tafel besonders von sich reden. Ein kleiner Ausschnitt aus einem Bericht gefällig? „… bekannt für ihre umwerfenden Prints, die Statement-Teller und ihren Bohemian-Spirit verziert Ulla Johnson die Deko-Pieces mit prächtigen botanischen Motiven…“. Wie schon beim Märchen von des Kaisers neuen Kleidern bräuchte man wohl ein Kind, das übersetzt. Fakt ist allerdings, dass dabei mit dekorativen Elementen wieder so etwas wie ein individueller Stil (mit Designernamen) und wirkungsvoller PR-Idee kreiert wird. 
Statements sind überhaupt Dekormotiv Nummer 1 – siehe die unzähligen T-Shirts mit zum Teil deftigen Aussagen. In unserer Branche ist man da zurückhaltender. Wobei in der historischen Silberbesteckszene die Dekoration von Besteck im Ursprung ähnliche Aussagen hatte, denn es war in den einzelnen Fürstenhäusern üblich, in den Silberschmieden ein eigenes Besteck zu ordern. Und so entstanden (auch heute noch existierende) Besteckmodelle, die ursprünglich „Thurn & Taxis“, „Wertheimstein“, „Herberstein“ und ähnlich hießen.
Am Sektor Porzellan gab es schon immer eine Vielzahl von derartigen Produktionen. Kleine Veredelungsbetriebe erzeugten Unmengen an Gefäßen mit Landschaftsbildern und Wappen als sogenannte Souvenirs, und jeder Kaisergeburtstag war Anlass, das Herrscherhaus auch auf Kaffeehäferln zu bringen. Wer in diesem Jahr die Krönungsfeiern in London verfolgt hat, der wird bemerkt haben, welch starker Motor diese Dekore für die Umsätze in der Branche sein können. Allerdings muss gesagt werden, dass in den anglikanischen Ländern Tischgerät mit besonderen und aktuellen Dekoren immer schon ein Wirtschaftsfaktor waren. Was bei uns eher seltener ist, wie z.B. besonderes Geschirr für Weihnachten (siehe auch diese Ausgabe Seite 16), das gehört in Großbritannien zum Standard. Und auch Kinderbücher mit Fantasiefiguren und deren naive Illustrationen zieren in diesen Breiten ganze Porzellanausstattungen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Walt Disney Studios eigene Gesellschaften für die Vermarktung ihrer Figuren auf Glas, Porzellan und natürlich Textilien haben. Wir haben vor zig Jahren in Österreich eine Serie gehabt, die im Original „Love is ...“ und bei uns „Liebe ist ...“ hieß und weltweit in über 300 Zeitschriften regelmäßig als Cartoon erschien.  Die passenden Gläser wurden in einem niederösterreichischen Betrieb bedruckt und erreichten beachtliche Stückzahlen. Diese Lizenzgeschäfte waren damals recht populär und erreichten mit dem Erscheinen der Comichefte von „Asterix und Obelix“ Millionenbeträge. 
Dabei wurde ursprünglich dekoriertes Porzellan gar nicht besonders geschätzt. Obwohl die Vorbilder in den Anfängen aus China stammten und diese Vorbilder immer, meist blau, dekoriert waren, bestand der Ehrgeiz der Europäer darin, weißes Porzellan von perfekter Qualität herzustellen. Dekoriert wurde daher hauptsächlich die 2A-Qualität, die auch in kleinen Veredelungsbetrieben zu Souvenirs und Devotionalien umgewandelt wurde. Mit der Verbesserung der Druckmöglichkeiten, bis hin zum Siebdruck, war dann auch das Tor für Massenprodukte geöffnet und dazu brauchte man natürlich auch massentaugliche Motive. Die Werbung, sprich die Marktkommunikation, hat dieses Feld relativ rasch entdeckt und anlassbezogene Gefäße wurden zum Standardrepertoire von Eröffnungen, Spartagen oder sonstigen Veranstaltungen. Von den unsäglichen Wahlveranstaltungen und der beliebten Propaganda dabei ganz zu schweigen. Das alles ist natürlich nur ein wenig Butter aufs Brot des Umsatzalltags, aber wer das Ohr am Puls der Zeit hat, findet sicherlich etwas, das sich eignen würde, um den müde schnurrenden Umsatzmotor auf Touren zu bringen.
Und da haben wir Aktuelles gefunden: Die Gmundner Keramik – wie sie bei uns so salopp und volkstümlich genannt wird – ist eine österreichische Institution. Mit dem Dekor „Grüngeflammt“ hat man etwas erreicht, wovon wohl alle Hersteller träumen – ein Produkt, das zum Kulturgut geworden ist, also aus dem nationalen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Wenn heute ein Speisenfotograf die österreichische Küche vorstellt, dann kann man sicher sein, dass zumindest ein Gericht auf „Grüngeflammt“ abgelichtet wird. Und diese traditionsreiche Manufaktur hatte den Mut, etwas völlig Anderes auf den Markt zu bringen – die Regenbogen-Kollektion. Ein Dekor, das zum Pride-Month herausgekommen ist. In den sechs Regenbogenfarben gehalten, in bester Gmundner Tradition gestaltet, gilt es als Hommage auf die LGBTQ-Community für Kunden in der ganzen Welt, so die Message im Web. Also werden vielleicht bald Fotografen für die Kochzeitschriften Geselchtes mit Kraut und Knödel auf „Grüngeflammt“ und die neuesten veganen Kreationen auf Tellern der Regenbogen-Kollektion fotografieren. Es wäre zu wünschen, dass sich diese derzeit noch limitierte Edition schon bald zum Standard-Produkt mausert.

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