Montag, 12. Juni 2023

Durch die Hintertür


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Foto: rifath photoripey | unsplash

Es ist das Bestreben aller in der Wirtschaft Tätigen, Gewinne zu maximieren – die ­gleiche Motivation haben aber auch alle privaten Konsumenten, wenn sie mit ihrem sauer verdienten Geld shoppen gehen. Das führte im Laufe der Zeit dazu, dass es immer wieder Unternehmen gab, die den Konsumenten Angebote machten, „die sie nicht ablehnen konnten …“ – weil die eben die sprichwörtlichen Mezzien sind. Vom warmen Gefühl, etwas Besonderes auch besonders günstig gekauft zu haben, leben ganze Wirtschaftszweige.


Diese Grundphilosophie des „Sonderangebots“, der „Aktion“ bis hin zum „Black Friday“ ist heute Alltag geworden. Vorbei sind schon lange die Zeiten, wo ein Ausverkauf nur zu den gesetzlich vorgeschriebenen Terminen veranstaltet werden durfte, sozusagen eine staatlich verordnete Zusatzsaison. Auch „Sonderverkäufe“ wegen Geschäftsaufgabe oder gravierende Umstände, wie ein Umbau  oder eind Brand, mussten angemeldet und abgesegnet werden. Doch von allen diesen offiziellen Aktivitäten zur Umsatzmaximierung wollen wir hier gar nicht schreiben, es geht eher um Verkaufsmethoden, die nicht im Blickpunkt der Medien oder der Öffentlichkeit stehen.
Dabei müssen wir wohl oder übel doch einen Seitensprung machen und dabei die Fehleinschätzung fast aller Wirtschaftspropheten ein wenig in den Fokus stellen. In den 90er-Jahren haben viele der angesehendsten Wirtschaftsforscher vorgeschlagen, dass sich der Handel, speziell der Einzelhandel, spezialisieren sollte, um zukunftssicher zu sein. Die Realität in der Handelslandschaft zeigt heute leider das genaue Gegenteil. Der Möbelhandel hat sich zusätzlich den Hausrat gekrallt, die Kaffeeröster die saisonalen Themen, die Supermärkte im Lebensmittelhandel haben den „Gemischtwarenhandel“ neu interpretiert und sind gleich dazu auch noch Reisebüro und Mobiltelephonanbieter geworden. Der arme Blumenhandel kann sich dieser Konkurrenz überhaupt nicht mehr erwehren, seit auch die Tankstellen zu Floristen geworden sind. Es kann sehr spaßig (nicht für den Handel) werden, wenn die Verbrennungsmotoren verboten werden und die Benzinvertreiber neue Produkte für ihre vielen Standorte finden müssen. Das hat ja in der Pandemie mit Lockdown schon zu Unbehagen geführt, als man im Lebensmittelladen alles einkaufen konnte, während die „spezialisierten“ Geschäfte geschlossen waren. Ja – ich weiß, da hat man abgesperrt und weggeräumt und man hat nicht alles gekriegt – wirklich? Also holen Sie sich zur Belohnung über ihr Verständnis für die großen Ladenketten Markenkonfekt aus der Groß-Drogerie! Was wir damit ein wenig dokumentieren wollen: Der normale stationäre Handel, der nicht die Größe und die Möglichkeiten hat, auszuweiten, ist derzeit in der Zwickmühle. Die Onlineshops saugen enorm viel Kaufkraft ab, die „grüne Wiese“ mit allen Vorteilen der günstigen Miete tut ein Übriges. Es wird soweit kommen, dass vor allem die Städte ihre Läden schützen müssen, um nicht die Immobilienwerte zu gefährden, die wieder in der Finanzwirtschaft eine entscheidende Rolle spielen. Aber hier wollen wir nur einmal ein wenig nachsehen, wie die Hintertüren aussehen, die den stationären Handel gefährden.
Basis ist dabei zumeist, dass es sich beim Angebot um (Marken-)Ware handelt, die populär und sozusagen einen Marktfixpreis (UVP) hat, der meist oder immer vom stationären Handel eingehalten wird. Fabrikoutlets und 2.-Wahl-Läden auf der grünen Wiese sind die Ausnahme. Mittlerweile haben sich auch Kopien der Markenwaren, speziell im Lebensmittelhandel getarnt als Eigenmarke, zu hervorragenden Rennern entwickelt, ohne in irgendeiner Weise ins Gerede zu kommen. Denn es ist zwar en vogue, Schnäppchen zu jagen, aber Stammkunde in Billigsdorf will auch keiner sein. Man sorgt nur dafür, dass es Vertriebskanäle sind, die nicht auf den berühmten Einkaufsmeilen stehen, die nicht eine traditionelle Quelle der Produkte sind, aber doch das gleiche attraktive Angebot haben. Allen ist gemeinsam, dass sie gegenüber dem stationären Handel bei den Fixkosten einen Wettbewerbsvorteil haben. Und damit kann man schon etwas anfangen, man kann mehr Werbung finanzieren uam. Die Methoden, deren sich unsere „Hintertür-Fraktion“ bedient, sind vielfältig. Und wir sprechen hier nicht von den Rabattmarken, welche die Supermärkte so gerne verteilen oder von den Einkaufskarten mit Rückvergütung, wie im guten alten, verstorbenen Konsum – über solche Methoden wird nur milde gelächelt …
Wir wollen nicht verschweigen, was den Anstoß zu diesem Artikel gegeben hat: Ein Bericht über wirtschaftliche Schwierigkeiten bei Tupperware. Folge diverser anderer Berichte – in den USA hat die Aktie an der Börse um 93 Prozent nachgegeben. Was weiter geschieht, steht offensichtlich noch in den Sternen, man sucht jedenfalls nach Investoren. Wir haben uns daran erinnert, dass Tupperware eigentlich der Prototyp eines Unternehmens war, das den stationären Handel durch die schon so oft erwähnte Hintertür ausgehebelt hat. Ein wenig Historie: Earl Silas Tupper kam vom Chemiekonzern DuPont und gründete 1939 eine eigene Firma, stellte 1942 seine ersten Behälter aus Polyethylen her und führte 1946 die Marke „Tupperware“ ein. Noch heute schwärmen Insider vom berühmten Tupper-Seufzer, der beim Öffnen der Dosen entstand. Aber es war eine alleinerziehende Dame aus den Südstaaten, die schon Erfahrung mit „Home Parties“ hatte, mit denen man seit den 20er-Jahren im Direktvertrieb unterwegs war. Brownie Wise überredete das Produktgenie Tupper dazu, den Vertrieb über den stationären Handel völlig aufzugeben – die „Tupper-Party“ war geboren. Um die Jahrtausendwende berichteten die US-Medien unisono von dieser Erfolgsstory, mit dem Hinweis, dass alle 2,5 Sekunden irgendwo auf der Welt eine Tupperware-Party stattfindet. Und damit auch das Modell, das gezeigt hatte, dass man auch im Direktvertrieb weltweit Erfolg haben kann, von der Fabrik direkt ins Wohnzimmer. Etwas, das ja auch schon Hausierer praktizierten, aber mit dem Image, das Hausfrauen hatten, kamen auch Seriosität und Vertrauen in einen sehr spezialisierten Markt. Viele Kopien haben wir in der Zwischenzeit gesehen, und Flops hielten sich die Waage mit Erfolgen. Heute sind viele Hintertüren geöffnet, die direkt zu Konsumenten führen. Dabei stehen Handelshäuser dahinter, die eben ein Sortiment zur Verfügung haben, aber selektiv agieren und vor allem die Lagerkosten niedrig halten können. Sie führen viele Namen und arbeiten mit vielen Methoden, aber immer mit dem Background, dem stationären Handel ein wenig oder auch viel Butter vom Brot zu nehmen.
Lassen wir den Online-Handel einmal beiseite, denn der ist die aktuellste Form, eine neue Handelsszene zu entwickeln. Und es wird sicher sehr bald eine Story geben, die besagt, das jede Sekunde irgendwo auf der Welt ein paar Millionen Kunden im Netz einkaufen. Wie es dann in den Städten aussieht, möchten wir uns wirklich nicht vorstellen. Sehen wir uns nur ein wenig um, was völlig Außenstehende so machen: Da gibt es einmal alle, die eine ständige Besucherfrequenz haben, wie eben den Lebensmittelhandel. Der saugt heute schon enorme Umsätze von den Spezialisten ab, indem er mit Aktionen und zusätzlichen Dienstleistungen seine Standortkosten minimiert, ohne die sonst üblichen Vertriebskosten zu haben. Eigentlich eine alte Geschichte, auch dass man Markenware in den hintersten Gebieten der Erde produzieren lässt und als Eigenmarken anbietet. Kooperationen mit Reiseveranstaltern, Netzbetreibern und Blumenimporteuren machen übrigens bereits einen nicht unbedeutenden Teil des Umsatzes aus.
Aber das war mit der Hintertür gar nicht gemeint – gemeint waren jene Aktivitäten mit Markenware, also keinen Kopien, die zeitweise ganz groß und mit Hervorhebung der Produktmarke stattfinden. Wir wollen an die Aktionen erinnern, wo man Treuepunkte sammeln konnte und dann eine besonders attraktive Markenware, meist aus unserer Branche, erwerben durfte. Es waren nicht wenige, die sich sagten, wenn ich schon Waschpulver, Butter, Semmeln und ähnliches täglich einkaufen muss, dann kann ich mich dafür mit ein wenig Luxus belohnen. Denn die Preise für die „Luxuswaren“ waren und sind immer enorm günstig. Dabei kostet das den Aktionshandel faktisch nichts. Sie werben für eine Aktion (was sie ohnehin immer machen), verkaufen eine Treueprämie (womit sie alle Kosten decken können), nutzen den Imagetransfer durch die Markenware und haben einen zufriedenen Kunden, der sich ein wenig Luxus leistet und jetzt ein traumhaftes Set daheim hat. Sie wären wahrscheinlich erstaunt, wie viel Stück da über den Ladentisch wandern und wie viele Kunden es gibt, die kein GPK-Geschäft betreten haben und für diese Produktlinie auch nie mehr werden. Ähnliche Aktionen finden auch hinter den Kulissen statt, wenn z.B. TV-Anbieter bei Abschluss eines Vertrags Markenware verschenken, wenn bei einer Filmpremiere ein Event veranstaltet wird, bei dem das berühmte Martiniglas von 007 mitgenommen werden darf (und wenn man dann mehr will, verkauft es ihnen der Veranstalter gerne).
Zu den „Frequenzern“ zählen auch die Tageszeitungen, also Kontakt mit vielen Menschen, die als Kunden in Frage kommen. Darauf basiert ja die Tatsache, dass Unternehmen inserieren. Wir meinen jetzt z.B. nicht jenen Zeitgenossen, der uns auf einer Messe über den Weg gelaufen ist und hier auch einmal als einfallsreiches Beispiel für Einzelunternehmer vorgestellt werden darf: Ein Exiltscheche, den es nach New York verschlagen hat, merkte, wie viele Landsleute es in seinem Umfeld gab und wie viele davon unter Heimweh litten. Dabei spielte auch die Sehnsucht nach Mutters Kaffee eine Rolle, und so kam er auf die Idee, Karlsbader Kaffeemaschinen (also Porzellankannen mit Aufsatz) zu importieren. Dann schaltete er in der Times ein kleines Inserat – Erfolg? Er wurde wohlhabend und hat noch etliche solcher heimatlicher Produkte für emigrierte Europäer unter die Leute gebracht. Auf der Suche nach diesen Produkten haben wir ihn auf einer Messe getroffen und eine Anregung weitergegeben. Man sieht, dass es durchaus Frequenz via Printwerbung gibt.
Kein Wunder also, wenn unsere auflagenstärkeren Gazetten selbst in dieses Business einsteigen. Man nennt es „VorteilsCLUB“ oder „Vorteilswelt“, und da findet man so manches, meist aktuelle Schnäppchen, mit genauer Angabe, wie viel man sich (gegenüber was eigentlich?) erspart. In den letzten Wochen haben wir dabei aus unserer Branche entdeckt: Wasserkocher, Thermogläser, Eierbox und Eierkocher – es war gerade Ostern. Wir haben auch Küchenmaschinen, Grillbestecke, Kinderbestecke, Raclette, Emaillegeschirr oder Backformen, zum Teil von bekannten Marken, gefunden. Ob es fair ist, sich als Medium für den Einzelhandel anzubieten und auch zur Konkurrenz zu werden, das lassen wir dahingestellt. Es regt sich jedenfalls über diese angeführten Hintertüren niemand auf. Aber man sollte sich die Frage stellen, wie der stationäre Einzelhandel agieren soll, um allen diesen Gefahren widerstehen zu können. Wenn ein bekannter Hausgeräteerzeuger im Fernsehen dafür wirbt, dass man die Geräte direkt beim Erzeuger bestellen sollte, dann merkt man den Stellenwert, den heute der Fachhandel hat, ganz deutlich. Die Nahversorger bauen ihre Sortiment aus und trommeln wöchentlich Rabatttage bis zu 50 Prozent, ganzseitig fast täglich zu lesen. Wollen wir denn wirklich in Städten wohnen, wo es keinen urbanen Handel mehr gibt und nur mehr der Computer die Produkte der Welt anbietet?


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