Donnerstag, 25. Mai 2017

Vorbilder? Derzeit nicht lieferbar …

Illustration: artinspiring | Fotolia.com 

Es wird über Tischkultur sehr wenig geredet und noch weniger geschrieben. Dabei wäre es für die keramische Industrie, die metallverarbeitenden Betriebe und die Glasindustrie äußerst wichtig, dass die Menschen in großer Zahl diese Kultur praktizieren,  denn nur so wäre auch der not­wendig Absatz gesichert. Dazu benötigt man aber Methoden der Nachfragebelebung, wie massive Werbung und/oder nachahmens­werte Vorbilder. Wir wollen daher Schwachstellen aufzeigen, um vielleicht eine Diskussion über eine Tischkultur 2.0 anzufachen.

 

Vorweg eine kleiner Ausflug in die nicht vorhandene Statistik, die wir durch Erfahrung und interne vertrauliche Gespräche zu ersetzen versuchen: Es ist nicht bekannt, wie viele einschlägige GPK-Fachgeschäfte bereits verschwunden sind. Aber einige tausend werden es im deutschsprachigen Raum schon sein. Die noch in den 50er-Jahren vorhandenen Besteckfabriken haben sich zahlenmäßig sicher halbiert, und die deutsche Porzellanindustrie hatte nach der Wende rund 60.000 Mitarbeiter – fragen Sie einmal nach, wieviele es davon heute noch gibt. Von den Accessoires und den früher heiß geliebten Nippes wollen wir gar nicht reden, Figurenfabriken muss man mit der Lupe suchen. Die vielen Wechsel der Eigentumsverhältnisse tragen auch nicht gerade dazu bei, dass ein gemeinsames Bemühen entsteht, die Branche voranzubringen. Es ist völlig klar, dass dabei vor allem die Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Lage im Vordergrund steht und nicht das Befinden einer ganzen Wirtschaftssparte mit den unterschiedlichsten Problemen. Das hat allerdings vor allem der mittelständische Fachhandel zuerst zu spüren begonnen.


Fast in allen Großstädten in Europa haben die Flaggschiffe der Tischkultur die Standorte in den A-Lagen aufgegeben oder aufgeben müssen, sei es aus mangelnder Prosperität oder aber auch, um den Standort zu lukrieren, was in vielen Fällen einträglicher war, als den Laden weiter zu führen. Das wäre die ökonomische Seite. Dazu kommt aber die gewaltige gesellschaftliche Veränderung, die sich in erster Linie auf die alten „Rituale“ auswirkte. Allein an der Bekleidung lässt sich das sehr anschaulich ablesen. Wer früh am Morgen in der U-Bahn fährt, der begegnet einer Masse von Leuten, die alle aussehen, als würden sie an einem der vielen Konflikte als Partisanen teilnehmen. Der unvermeidliche Anorak, die unvermeidlichen Sportschuhe, die ebenso unvermeidliche Wollmütze und Jeans ergänzen die Uniformierung der Mehrheit der Bevölkerung. Und das völlig geschlechtsneutral. Die Modeindustrie trägt dem natürlich Rechnung und liefert alljährlich ein Unmenge an Variationen, die den wichtigsten Marketinggrundsatz erfüllen: den Leuten die Freude an den Dingen zu nehmen, die sie besitzen. Und dann kommen die Vorbilder – Models, Sportler/Innen, Schauspieler/Innen und Promis ohne Zahl, die in den noch immer existierenden Hochglanzmagazinen dafür sorgen, dass die Leute wissen, was sie anzuziehen haben. Und die tun das auch recht brav, auch wenn die neuesten Jeans nur um Nuancen enger sind als die alten. Quod erat demonstrandum!
In der Branche rund um die Tischkulturbräuche geht es allerdings anders zu. Wenn sie dafür Beweise brauchen, dann fragen Sie einmal die Erzeuger von Spülmitteln, speziell jene, die Produkte für Spülmaschinen erzeugen. Der Verbrauch ist nicht mehr mit dem früherer Jahre vergleichbar. Auch wenn es mehr Haushalte gibt, auch wenn der Ausstattungsgrad mit Maschinen sehr hoch ist. Die Leute verwenden weniger Geschirr, der gedeckte Tisch zu allen Mahlzeiten ist Geschichte. Und in der Entsorgung ist der wahre Zustand am besten abzulesen. Nicht an den geschönten Befragungen, die immer rosige Zeiten voraussagen, nicht an den ewigen Prognosen, dass wieder eine Renaissance des Cocoonings erfolgt usw. Faktum ist, dass nicht nur die Hochzeitslisten weniger geworden sind, sondern dass die Menschen auch immer weniger über die Produkte, deren Nutzen und ihren Einfluss auf die Lebensqualität wissen. Das sagt ihnen auch niemand. Viel wichtiger scheint es, dass der Designer einen klingenden Namen und für die Medien eine provokante Note im Produkt vorweisen kann.
Und die Medien haben ja auch keine Ahnung mehr, warum man beim Besteck eine designte Bewegung haben sollte. Und die Hüter einer gepflegten Tafelkultur, die Restaurants, haben längst auf Rationalisierung umgeschaltet. Was früher nur in Kantinen und beim Dorfwirt üblich war, nämlich die bestellte Speise direkt auf dem Teller serviert zu bekommen, das ist heute selbst bei Lokalen mit unzählbaren Hauben Alltag. Suppe wurde in der guten alten Zeit in einem Metallgefäß gebracht (das hält länger warm) und erst bei Tisch in den Teller gefüllt. Hauptspeisen kamen auf einer Platte, in den meisten Fällen mit Warmehalteuntersatz, das ermöglichte es jedem am Tisch, sich die passende Menge zu nehmen – ein Vorbild, das in vielen bürgerlichen Haushalten ebenfalls praktiziert wurde. Bei großen Banketten wurde das natürlich von der Bedienung übernommen und man hatte nur „genug“ oder „noch ein wenig“ zu sagen. Wie gesagt, ein Vorbild, allerdings nicht wegen der Optik, sondern weil das für jeden Gast die Möglichkeit bot, nicht einfach nur nicht „abgespeist“ zu werden.
Das war nämlich die Philosophie, die hinter dem Begriff „Tafelkultur“ stand: Das Wohlfühlen bei Tisch, das bequeme Essen und das richtige „Werkzeug“, die richtige „Arbeitsplatte“ zur Hand zu haben. Das richtige Glas für das jeweilige Getränk, (was für Wein gilt, gilt auch für Bier, für Erfrischungsgetränke aller Art, von Sekt und Bränden ganz zu schweigen) das optimalen Genuss brachte. Aber man hat zumindest wieder die Absatzförderung erkannt, die da lautet „… weil das Auge isst mit“ und nutzt sie.

Es ist daher schon ein wenig deprimierend, dass der Konsument heute eher mit dem Grundsatz lebt, „Das tut’s auch!“ „Das“ ist meist ein einfacher weißer Teller, ein Besteck Marke „Sonderangebot vom Kaffeeröster“ und Universalgläser, die leicht zu reinigen sind. Die Vorbilder sieht der legere Konsument täglich in der Fernsehwerbung, wo fröhlich mit der Bierflasche angestoßen, mit den Fingern ein Burger zum Hinunterwürgen transportiert wird. Extrem? Nein, tägliche Praxis. Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass die Erzeuger der Produkte für den gedeckten Tisch weder die Motivation noch die Mittel haben, um diesem Trend entgegenzuwirken. Und erstaunlicherweise auch nicht erkennen, dass diese Entwicklung langfristig ihre Existenzgrundlage gefährdet, wenn nicht sogar entzieht. Das gilt natürlich für den gesamten einschlägigen Facheinzelhandel. Denn für den Möbelhandel ist es ein gefundener Umsatz geworden, dem „Das tut’s auch!“-Konsumenten das komplette GPK-Sortiment anzubieten. Gänzlich ohne Beratung, ganz ohne große Promotions und in bester SB-Manier. Natürlich wurde das für alle Hersteller wichtig, weil dort Frequenz und damit Verkaufsanstöße direkt am POS möglich sind, aber es entstehen dafür auch keine Nachfrageimpulse, die für eine Verbesserung der Branchensituation wichtig wären. Außerdem sollte man sich erkundigen, wie das in anderen Branchen war, wo zuerst Markenware eingekauft wurde, die dann systematisch durch Eigenimporte bis hin zu Eigenmarken ersetzt worden ist.
Natürlich wird es nie mehr das höfische Gepränge geben, das dann das Großbürgertum animiert, den adeligen Tischusancen nachzueifern, die schließlich zur allgemeinen Sitte werden und im Knigge landen. Es wird auch (hoffentlich) nie wieder eine Nachkriegszeit geben, in der man mit einem schön gedeckten Tisch versucht hat, die harte Zeit des Mangels zu vergessen. Wo sind aber heute die Vorbilder, die wirklich notwendig wären, diese Branche zu beleben? Ohne eine gewaltige Anstrengung der Hersteller, des Handels, der einschlägigen Medien und all jener, die sich mit Zukunftsfragen beschäftigen, wird es sicher keine praktikable Lösung geben. Einfacher gesagt: Die Zeit wäre mehr als reif, eine grenzüberschreitende Gemeinschaftswerbung auf die Beine zu stellen und neue Vorbilder zu schaffen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen