Sonntag, 6. Februar 2022

Gamechanger?

          


Foto: Jill Wellington | Pixabay 

Es gibt auch im Business Momente, wo sich, oft nur schleichend, der Wind dreht. In unserer Branche wartet man seit Jahrzehnten vergeblich auf einen solchen Moment, in dem wieder eine Nachfrage à la 50er-Jahre entsteht, in denen alles verkauft werden konnte, was einigermaßen brauchbar und attraktiv war. Jetzt leiden viele unter per-manenter Nachfrageschwäche, bei oft zu großen Kapazitäten, während in der gesell-schaftlichen Entwicklung noch immer kein Licht am Ende des Tafelkultur-Tunnels zu sehen ist. Vielleicht kommt ja aber eine Renaissance des Heims durch die Pandemie? 

Es gibt eine ganze Reihe von Experten (und solchen, die es werden wollen), die prophezeien, dass die unfreiwillige „Haft“ durch die Seuche dazu führen wird, dass man sich wieder stärker mit dem eigenen Heim beschäftigt. So sagt die Trendexpertin Oona Horx-Strathern in der Tageszeitung „Kurier“ zu Pandemie und Wohnen von morgen: „Wir werden mehr Geld, Liebe und Aufmerksamkeit in unsere Wohnungen stecken, weil unser Zuhause wieder der Lebensort ist und wir viel mehr Zeit hier verbringen als früher“.
Also ein neues „Cocooning“, das in den 80er-Jahren zwar unserer Branche nicht viel, aber dem Möbelhandel sehr wohl beachtliche Umsatzzuwächse beschert hat? Nicht verwunderlich, dass in dieser Zeit auch Hausratsabteilungen im Charakter echter Fachgeschäfte in viele Möbelhäuser Einzug hielten. Man spricht hinter vorgehaltener Hand davon, dass die großen Häuser heute bereits ein Viertel (und mehr) ihres beachtlichen Umsatzes mit Hausrat machen, also einem Produktsegment, das dort noch von ein paar Jahrzehnten eher als Dekoration angesehen wurde. Dreht sich womöglich der Wind wieder in diese Richtung? 
 

Wer allerdings die Medien aufmerksam verfolgt, der müsste glauben, dass die Möbelhäuser in einer veritablen Krise stecken, denn noch nie wurde dermaßen viel Geld in die Werbung gesteckt. Und noch nie wurden dabei nur Rabatte angeboten, die sich bereits in unanständigen Höhen (derzeit liegt mein Beobachtungsrekord bei minus 77 Prozent) bewegen. Homeoffice, Quarantäne und Impfverweigerung als Motor für eine neue Branchen-Konjunktur? Für einen Baby-Boom ist angeblich und laut Statistik gesorgt, Pampers wird sich sicher freuen. Was allerdings sicher bleiben wird, ist der Trend, Rabatte zu bewerben und nicht die Ware. Auf den Gratiszeitungen locken fast jede Woche Rabattkarten mit 25  Prozent  für Lebensmittel oder sonstige Artikel des täglichen Bedarfs. Diese permanenten Aktionen in den Supermärkten, vor allem auch mit Hausrat, sind praktisch Standard geworden. Wo sind die Zeiten, als man einen Ausverkauf noch anmelden musste? In unserer Kleinserie „Neues aus Billigsdorf“ können Sie Beispiele sehen, die Sie sicher lieber nicht erleben würden. Denn diese „Rabatt-Pandemie“ hat, manchmal in hübscher Verkleidung, auch prominente Marken erreicht. 
Ein gutes Beispiel dafür hat Riedel erfunden. Da werden 2er-Sets angeboten, wobei man ein Glas geschenkt bekommt. Nach Adam Riese sind das 50 Prozent Nachlass. Und da es kaum Kunden gibt, die nur ein Glas kaufen wollen, hätte man diese Verkleidung gar nicht gebraucht, aber so klingt es eben „seriöser“. Also müssen auch hochwertige Marken diese notwendige Rabattitis mitmachen und die Diskontkrot schlucken, wahrscheinlich für die nächsten Jahrzehnte. Und die Jagd wird dabei immer härter. Die auf den Gratiszeitungen geklebten Rabattkarten des Lebensmittelhandels werden regelrecht geplündert, sodass mancher „Normalleser“ schon sehr zeitig aufstehen muss, um noch eine Zeitung mit 25 Prozent-Marken zu erwischen …
Bezüglich Statistik! Auch da stehen manchmal Zahlen, die aufmerksame Brancheninsider hellhörig machen sollten. In der Neujahrsausgabe 2022 standen in vielen österreichischen Tageszeitungen Statistiken über Feiergewohnheiten der Österreicher zu Silvester. Darunter auch, was unsere Landsleute am liebsten zu diesem Anlass speisten. Erhoben von Marktagent.com, der Statistik Austria und dem österreichischen Sektverband konnte man da recht Erstaunliches lesen. Denn an der Spitze aller Gerichte stand mit 18,6 Prozent Raclette, gefolgt von der urösterreichischen Spezialität „Fondue“ (die Eidgenossen mögen dies verzeihen!), wobei allerdings nicht erläutert wurde, ob Käse-, Fleisch-, Fisch- oder Schokoladefondue gemeint ist, aber in jedem Fall ein Gericht, für das kein bedauernswertes Mitglied der fröhlichen Tafelrunde in der Küche schwitzen muss –„Käseschmelzen statt Bleigießen“? Erleben wir eine fundamentale Trendwende? 
So neu ist nun aber diese Wendung auch wieder nicht. Feiern daheim hat schon lange nichts mehr mit Aufkochen durch die Herrin des Hauses zu tun, das ist nur mehr bei der Tante Jolesch nachzulesen. Feiern werden immer öfter außer Haus verlegt oder durch Catering oder wie zu Silvester durch Zubereitung bei Tisch ersetzt. Wobei allerdings Raclette und Fondue überraschend sind, man müsste direkt einmal nachfragen, ob in den Fachgeschäften eine verstärkte Nachfrage nach dafür notwendigen Accessoires zu bemerken war. Aber der Trend, nicht mehr groß aufzudecken und aufzukochen, zeigt sich auch in den sonst noch statistisch aufgelisteten Speisen: 10,7  Prozent servieren Brötchen und zwei Prozent Würstel. Also auch etwas, das man nicht unbedingt als Belastung von Hausfrau und Küche vermerken muss. Abschließend sind noch 1,8  Prozent Schweinsbraten- und ebenso viele Schnitzelfans zu erwähnen. Was dabei selbst zubereitet und wieviel geliefert wurde, ist nicht erfasst. 
Eine Bestätigung dafür, dass die Zeit der großen auf Gäste ausgerichtete Tischausstattung vorbei ist? Die Abnahme von Hochzeitslisten würde auch dafür sprechen und dass 38,5 Prozent aller Ehen geschieden werden. Die Auswirkungen auf unsere -Branche darauf sind ja evident. Was allerdings diese „Neosingles“ an Tischausstattung in ihrer neuen Beziehung brauchen, ist leider nicht erfasst. 
Ergänzend sei noch eine andere Statistik vermerkt, die die Handelskette BILLA in Auftrag gegeben hat. So zeigen die erhobenen Daten, neben Angaben über Sport und Freizeit und allgemeines Wohlbefinden, weitere Verhaltensänderungen bei der Ernährung. 15 Prozent der Befragten (befragt wurden rund 3.000 Personen in allen Bundesländern, zwischen 18 und 65 Jahren) gaben an, hauptsächlich vegetarisch oder vegan zu kochen. Bei den Menschen unter 30 waren es sogar 28 Prozent, was deutlich zeigt, dass es sich nicht, wie in vergangenen Befragungen dokumentiert, um einen Nischentrend handelt, sondern dass eine relevante Zielgruppe entstanden ist. Die Entwicklungsabteilungen und Designer unserer Branche werden sich mit allen diesen Entwicklungen und Zahlen wohl oder übel auseinandersetzen müssen …
Sicher hingegen ist, dass die Pandemie den Trend zum Einkauf im Internet verstärkt hat und dass dieser Trend sicher nicht mehr zurückgeht. Um wieder die Statistik zu bemühen: Der Boss von Amazon (und nicht nur nur der) ist dank der Seuche um schlichte 67 Prozent reicher geworden und rangiert jetzt in diesem Ranking bei Euro 177 Mrd.  Die zehn reichsten Menschen der Welt verdoppelten im Zeitraum der Covid-Pandemie ihr Vermögen (Quelle: Hilfsorganisation Oxfam) auf  insgesamt Euro 1,3 Billionen !
Uns interessiert natürlich in erster Linie, was in den heimischen Gefilden so geschieht. Hier dürfen wir das österreichische Finanzministerium heranziehen, das erstmals offizielle Zahlen zum Onlinehandel veröffentlicht hat. So waren die Umsätze der in Österreich registrierten ausländischen Versandhändler 2020 um 30 Prozent auf Euro 4,4 Mrd. gestiegen. Zum Unterschied zu heimischen Anbietern zahlen diese Unternehmen keinerlei Gewinnsteuern. Diese Wettbewerbsverzerrung sei, laut offizieller Stellungnahme, „nicht akzeptabel“. Wir dürfen daher alle, außer der Post, gespannt sein, was der Nationalstaat dagegen tut, wenn das laut EU-Recht in Ordnung ist. Denn für die Post sind die Millionen an Paketen mittlerweile ein Lebenselexier geworden. Es wird in dieser Branche durchaus auch mit harten Bandagen gekämpft. Wer im Internet surft, der muss es hinnehmen, dass jedes dritte Suchergebnis gesponsert und künstlich vorgereiht ist. Die Arbeiterkammer warnt in einer Studie vor den Bewertungen, die oft nicht geprüft und verzerrt dargestellt werden. Mehr als 50 Prozent  der Händler kommen dabei aus China und nur knapp zwei Prozent aus Österreich, was aber dem Konsumenten, wie die Erfahrung lehrt, vollkommen egal ist. Und es wird sicher für die heimischen Anbieter nicht besser, denn Amazon z.B. springt auch auf den derzeitigen Regionalitätstrend auf und eröffnet Rubriken, wo kleine Firmen aus Österreich und Deutschland ihre Waren prominent präsentieren können. Damit soll Kampagnen, die mit patriotischem Touch agieren, ein wenig der Wind aus den Segeln genommen werden. Wer die Werbeszene analytisch beobachtet, der weiß, dass klassische Gegen-Kampagnen selten Erfolg haben. Prophetisch dabei ist die Geschichte einer„Schmutzkampagne“ der 1940er Jahre, wo die Hersteller von Seidenstrümpfen durch Flüsterpropaganda und willige Journalisten verbreiten ließen, dass die Trägerinnen der neuen Nylonstrümpfe einen schlimmen Ausschlag bekämen. Die Nylon-Leute mussten viel Geld ausgeben , um schlussendlich diesen Wettbewerb zu gewinnen. Also her mit den VIPs, die etwas Mieses über die Onlineshops sagen und eine  Oper über die Seligkeit, in einem Laden einkaufen zu dürfen!
Es ist leider so, dass gesellschaftliche Entwicklungen auch das Konsumverhalten entscheidend prägen können. Wenn täglich massiv mit Rabatten geworben wird, dann werden hier Kunden kreiert, die das für den Normalzustand halten, und jener Mann, der sagt, dass er warte, bis der Hofer wieder Unterhosen anbietet, ist gar nicht so selten. Produkte unserer Branche sind gesuchte Lockartikel geworden, die praktisch in allen Großvertriebsformen mit unglaublichen Abschlägen angeboten werden. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass die Anbieter diese Produkte als reine Werbung und ohne jegliche Kalkulation auf den Markt bringen – ein Trend, den wir wohl nicht so schnell wieder los werden. 
Lassen Sie mich daher mit einer skurrilen Idee enden. Die größte Technik-messe der Welt in Las Vegas präsentierte die neueste Erfindung am -Sektor Bildschirme: LG zeigte einen Großbildschirm, der eine Shop-Auslage ersetzen kann. Stellen Sie sich vor, wenn man alle aufgrund der großen Online-Anbieter leer stehenden Läden damit ausstatten und dort zwölf Stunden am Tag Videos zeigen würde, wie mies das Shoppen bei den  Internet-Riesen eigentlich ist. Vielleicht würden da die Leute ein schlechtes Gewissen bekommen. Wenn nicht, dann könnte man ja die Schaufensterflächen der leeren Geschäfte auch an Amazon & Co. als Werbe-fläche vermieten. Die Post fördert den Onlinehandel schließlich auch …

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen