Montag, 9. Oktober 2017

Neues Essen – aber die alten Gewohnheiten


Illustration: blueringmedia | Fotolia

In den 50er-Jahren war es der Nachholbedarf nach den schrecklichen Kriegstagen, der die Produktpalette der Erzeuger bestimmte. Heute ist es der Überfluss, der die Lebensgewohnheiten prägt und völlig neue Gerichte auf den Tisch bringt. Die Geräte, die man für den gedeckten Tisch braucht, können dabei nicht immer mithalten …


Beginnen wir daher mit der Wissenschaft, die ja in Zeiten wie diesen alles genau untersucht und analysiert. So hat man sich auch den Tellern zugewandt. Traditionell und vor allem wegen der Produktionstechnik (die Töpferscheibe lässt grüßen) sind diese rund. Mit dem technischen Fortschritt sind heute allerdings auch eckige Teller relativ ökonomisch zu erzeugen. Das hat die Universität Oxford auf den Plan gerufen, die den Unterschied zwischen runden und eckigen Tellern anhand eines fiktiven Frühstücks untersucht hat. Das überraschende Ergebnis dieser Studie sagt aus, dass man z.B. beim Verzehr von Müsli aus einem eckigen Geschirr ein sättigenderes Gefühl bekommt als aus einem runden Gefäß. Fazit: Man ist früher satt und isst daher weniger. Das ist allerdings noch nicht alles, denn man entdeckte außerdem, dass es viel besser ist, die Mahlzeit im Stehen einzunehmen und auf Kaffee zu verzichten, so Dr. Jennifer Newson zu den Medien. Also wäre es ideal, frühmorgens aus einem eckigen Teller oder Napf Müsli im Stehen zu essen und dazu bestenfalls einen Kräutertee zu trinken – was einigermaßen schwierig ist, aber das Balancieren ist wahrscheinlich ein weiterer Aspekt der richtigen Ernährung … Das ist nur ein Beispiel von vielen, wie sich Wissenschaft, Marketing und auch manche JournalistInnen mit Essen und Trinken und in weiterer Folge auch mit dem traditionell angehauchten gedeckten Tisch beschäftigen.
Auch aus den in einigen Magazinen sehr beliebten Artikeln über neue oder vergessene Essenstrends ist einiges zu erfahren. Sagen Ihnen Namen wie „Kalter Hund“, „Ofenschlufer“, „Eisenbahner“, „Liebesknochen“, „Frauennabel“, „Katzengschroa“ oder „Wamperlstecher“ etwas? Alles in Vergessenheit geratene Gerichte, die von einschlägigen Magazinen wieder ins Gedächtnis und auf die Esstische gebracht werden sollen. „Wamperlstecher“ sind übrigens Schlupfnudeln, die im Dreißigjährigen Krieg die Hauptnahrung der Soldaten waren und anscheinend besonders nahrhaft sind. Die Öffentlichkeit giert vermutlich nach solchen Informationen …
Darf ich Sie auch mit „Paleo oder Steinzeitkost“ bekanntmachen? Anhänger dieses Essenstrends ernähren sich hauptsächlich von Nahrungsmitteln, von denen man annimmt, dass sie schon in der Altsteinzeit (von 2,5 Mio. bis 9.500 vor Chr.) gegessen wurden – auch dazu gibt es Studien, die besagen, dass das langfristig gesehen nichts bringt. Auch „Clean Eating" kommt aus der Vergangenheit und war uns schon einmal unter dem Begriff „Vollwerternährung“ bekannt. Dabei sollen fünf bis sechs Mahlzeiten pro Tag auf den Tisch kommen, die alle naturbelassen und frei von künstlichen Zusatzstoffen sein sollten – natürlich selbst gekocht und ohne Zucker oder ungesunde Transfette. Es gibt auch noch „Law Carb-Programme“ – man spart bei Kohlehydraten und investiert dafür in Eiweiß und Fett – oder den „Frei von“-Trend, bei dem nur Lebensmittel ohne Gluten, Laktose, Zucker verwendet werden … eigentlich schon eher eine Diät.
Der relevanteste Trend der letzten Jahre ist die Zunahme des Vegetarismus, in all den möglichen Spielarten, vor allem von Veganismus. Man schätzt derzeit, dass z. B. in Österreich und der Schweiz der Anteil an der Gesamtbevölkerung weit über fünf Prozent liegt – Tendenz steigend. Über diesen Teil unserer Mitmenschen gibt es derzeit ungemein viele Publikationen, begleitet von der fast schon überbordenden Biowelle, die für sprudelnde Einnahmen in den Supermärkten geführt hat. Und manche Vegetarier und ihre Artgenossen verhalten sich wie Sektenmitglieder  mit missionarischen Effekten. Im Rahmen einer Motivforschung (Marktagent com.-Umfrage) wurden als Hauptargument für die eigene vegetarische Ernährungsweise „Zustände bei der Tierhaltung und Tierquälerei“ (73,4 Prozent) und „Für mich sollen keine Tiere sterben“ (62,6 Prozent) angegeben.
Warum wir das hier, in einem Magazin für Tischkultur“, so ausführlich besprechen? Nun, alle diese Menschen haben eine bestimmte Einstellung zu Essen und Trinken, was in weiterer Folge natürlich auch Einfluss auf ihre Konsumgewohnheiten bei den Produkten unserer Branche hat. Für den Welt-Vegetariertag wurde in Deutschland (Jameda-Umfrage) ebenfalls über Motive und Ursachen des Vegetarier-Trends geforscht. Dabei wurde festgestellt, dass 40 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal in der Woche vegan/vegetarisch essen. Wenn man die traditionellen Fischesser am Freitag dazurechnet, ergibt das eine recht ansehnliche Zielgruppe für spezielles Gerät. Und dass Frauen wesentlich häufiger Vegetarierinnen sind und werden, gehört ja bereits zur Normalität. Interessant ist allerdings, dass vor allem jüngere Mitbürger gerne auf Fleisch verzichten, 43 Prozent sind unter 40, 39 Prozent zwischen 40 und 60, 32 Prozent sind über 60. Aber nur 26 Prozent geben an, sich wegen der eigenen Gesundheit vegetarisch zu ernähren. Im vergangenen Jahr hat Radio Wien mit „meinungsraum.at“ ein Ernährungsstudie durch geführt, die dabei folgende Typen unterscheidet:
Mischköstler (sogenannte „Allesfresser) 68 Prozent
Flextarier (geringer Fleischkonsum, regelmäßig fleischlose Tage) 26 Prozent
Vegetarier (alles außer Fleisch und Fleischprodukte) 5 Prozent (laut anderen Umfragen 5,7 Prozent)
keine Angaben 1 Prozent

Was allerdings auch nicht sehr erhellend ist, aber immerhin konnte man feststellen: Je höher das Bildungsniveau, desto höher der Anteil an Vegetariern,
Matura/Uni 64,6 Prozent
Lehre/Fachschule 21,5 Prozent
Pflichtschule 14 Prozent

Damit allerdings nicht allzu große Euphorie aufkommt: Es gibt auch Studien, die die negativen Auswirkungen vegetarischer Ernährung ermittelt haben. So z. B. eine der University of Bristol, wo festgestellt wurde, dass diese einseitige Ernährung nicht nur Auswirkungen auf den Körper hat, sondern dass auch der dabei auftretende Vitamin B12-Mangel zu Depressionen führen kann. Vegetarier und Veganer leiden signifikant häufiger darunter als Fleischesser – und je länger sich die Probanden vegetarisch ernährten, desto stärker zeigte sich dabei auch der Unterschied. Allerdings sollte erwähnt werden, dass Vegetarier seltener unter Diabetes oder Herzerkrankungen leiden.
Aber schon sind in der Ferne völlig neue Trend schemenhaft erkennbar, dargestellt in Sonntagsausgaben renommierter Zeitungen und Lifestyle-Postillen: Die hawaiianische Küche schickt sich an, nach Europa zu drängen, Nudeln könnten zukünftig aus Gemüse hergestellt werden, neue Joghurtsorten für orientalische oder vegetarische Küche sind im Kommen, und, nicht zu vergessen, es gibt große Bestrebungen, auch Austern , Krebse und Hummer zu kultivieren, um diese „Luxus-Gerichte“ zum Allgemeingut zu machen – na, dann Mahlzeit.
Wenn Sie bis hierher durchgehalten haben, dann sind Sie der Antwort auf die Frage , was diese kleine Ernährungsanalyse denn eigentlich mit der GPK-Branche zu tun hat, näher gekommen? Was wir hier angeführt haben, ist ein Sammelsurium an Artikeln, Berichten und Studien, die wir im Laufe von ein paar Wochen gesammelt haben. Und wenn Sie dazu noch die vielen Kochsendungen rechnen, ist Essen und Trinken in den Medien eindeutig ein wichtiges Thema. Was bedeutet, dass die LeserInnen und SeherInnen das Thema offensichtlich in dieser geballten Form wünschen, denn kein Medium schreibt über etwas, das niemanden interessiert (wir hoffen das ja auch immer!), also ist der Themenkreis aktuell und von Interesse.
Unsere Altvorderen haben Teller, Messer, Gabeln, Römer und Sonstiges auch deswegen entwickelt, weil die Menschen zu ihrer Zeit bestimmte Gerichte verzehrt haben und glücklich waren, wenn man ihnen das dafür passende Gefäße oder Werkzeuge zum genussvollen Schmausen angeboten hat. Wenn Sie sich aber so wie wir die Artikel über Essen und Trinken ansehen, dann kommt in all diesen Publikationen das passende Tischgerät nicht mehr vor. Es gibt nach den jahrelangen Diskussionen über Design oder nicht Sein die Totenstille des Desinteresses. Man sollte doch annehmen, dass die Hersteller förmlich darauf lauern, z. B. den ultimativen Teller für Meeresfrüchte in die Öffentlichkeit bringen, wenn nur der Hauch einer Chance besteht, dass darüber berichtet wird. Die Arroganz, bloß auf die vielstrapazierte Tradition zu vertrauen, ist von der Realität längst widerlegt worden. Diese Branche müsste täglich zeigen, wie wichtig sie für eine kultivierte Mahlzeit ist, auch wenn die dafür neuen Produkte nur Sternschnuppen sind. Sie müsste laufend im Gespräch bleiben – oder ist man der Auffassung, dass das überflüssig ist? Dass die derzeit vorherrschende Meinung „ein weißer Teller und Besteck für alles, mehr braucht man doch nicht“ für diese Branche auch in Zukunft ausreichen wird?
Zum Abschluss noch zum eckigen Teller, mit dem wir diesen Artikel begonnen haben – er war das einzige für diese Branche interessante Detail in den Printmedien. Er wurde auch produziert, aber keiner der Hersteller ist auf die Idee gekommen, eine Presseaussendung zu machen und seine „eckigen“ Teller vorzustellen. Es wäre also dringend angeraten, sich in der Branche zusammenzusetzen und darüber nachzudenken, wie man das Thema „Essen und Trinken“ aus der Sicht der Gerätehersteller aktualisieren und dynamisieren könnte. Es gab schon einmal Kooperation z. B. bei der Milchwerbung, sie funktionierte recht gut bei der „Grillwelle“, es hat schon brauchbare Resultate beim den „richtigen“ Weingläsern gegeben – es wäre an der Zeit, nicht nur die ehemaligen Fleischteller in Speiseteller umzutaufen, sondern dem vegetarischen Trend oder den neuen Lebensmitteln zumindest in den Medien mehr Raum zu verschaffen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen