Montag, 11. Dezember 2017

Vereint zu Tisch und Bett?


Foto: Aycatcher | Roman Stetsyk 

Hochzeiten waren in der „guten alten Zeit“ eine wesentliche Umsatzbasis für den regionalen Einzelhandel der GPK-Branche. Doch durch die einschneidenden Veränderungen der ­Gesellschaft bröckelt diese Basis immer stärker ab. Das liegt nicht nur an den Lebens­gemeinschaften ohne Trauschein und dem Verlust traditioneller Rituale, sondern auch daran, dass der gedeckte Tisch bei der Familiengründung keine essenzielle Bedeutung mehr hat. 


Wenn in den guten, alten Zeiten Herr. H. aus Basel mit seinem Lieferwagen in die Appenzeller Berge reiste und sein Sortiment in den Gasthäusern ausbreitete, dann strömten von den Höfen weit und breit die Mädchen mit Familie herbei, um Stücke für ihre Aussteuer zu erwerben. Es gehörte sich einfach, dass die Braut bei der Hochzeit Wäsche, Töpfe, Geschirr und Besteck  in den neuen Haushalt einbrachte. Und wenn eben Herr H. das tat, dann wurde oftmals in Selb heftig gefeiert, denn die Aufträge von seinen Touren halfen mit, Absatz und Kapazität so mancher Fabrik zu sichern. Dieses Sammeln ging über Jahre und sicherte dem „Wanderhändler“ ein sicheres Einkommen.
In den Städten hatte diese Funktion der Fachhändler, der dort den Familien bei der Auswahl der Aussteuer zur Seite stand. Damals galt die Faustregel, dass eine Tochter etwa 25 bis 30 Prozent eines Jahreseinkommens der Eltern als Mitgift zu bekommen habe. Alte Gerichtsurteile bestätigen, dass das auch oft und erfolgreich eingeklagt werden konnte. Dieser Prozentsatz garantierte, dass die Familien je nach Einkommensstandard unterschiedliche Summen bereitstellen mussten. Eine sehr soziale Regelung, allerdings nicht für die Bräute in spe, denn die „gute Partie“ war daher schon im Voraus berechenbar …

Durch die beiden Weltkriege wurden immer mehr Frauen berufstätig, und allmählich wurde es selbstverständlich, dass Frauen auch bei der Hausstandsplanung selbstbestimmend wurden. Die traditionelle Mitgift und Aussteuer hatte sich speziell in den urbanen Gebieten überlebt. Man wollte dort einen gemeinsamen Haushalt auch gemeinsam einrichten. So entstanden die „Hochzeitslisten“: Das Brautpaar wählte seine Ausstattung aus, diese wurde auf einem Tisch im Geschäft ausgestellt und aufgelistet, sodass alle, die das Paar beschenken wollten, davon aussuchen konnten. Ursprünglich gedacht, um Doppelgeschenke zu vermeiden, half dies Liste auch mit, die unterschiedlichen Preisklassen diskret zu verschleiern. In einigen Kulturen bekommt ja der Bräutigam heimlich ein mehr oder weniger gut gefülltes Banknotenkuvert zugesteckt, was das individuelle Auswählen des Hausrats für das Hochzeitspaar natürlich wesentlich erleichtert. Mit den Hochzeitslisten kam so etwas wie Individualisierung und Gemeinsamkeit in die Haushaltsgründung. Das war ein sicheres Geschäft, nicht nur die Erstausstattung, sondern auch Nachkäufe wurden meist im selben Geschäft getätigt. Damit entwickelte sich auch so etwas wie Prestige für den Einzelhandel. In den Städten wurde natürlich genau geschaut, wo das Brautpaar XY seine Hochzeitsliste auflegte. Es wurde wichtig, in Zürich in der Bahnhofstraße beim
„S-D“ oder in Wien am Graben beim „R“ einen Hochzeitstisch zu haben. Mit den Jahren entstand daraus fast so etwas wie Image und Exklusivität, denn diese Läden bekamen einen Sonderstatus. Als einmal eine deutsche Glashütte nur an so genannte „Leithändler“ lieferte, um damit ihre Produkte exklusiver und hochwertiger zu machen, standen auf dieser Liste im gesamten D.A.CH.-Markt hauptsächlich Geschäfte mit hohem Anteil an Hochzeitslisten, und fast immer auch in
A-Lagen. Heute werden Sie in diesen
A-Lagen kaum mehr ein GPK-Geschäfte finden, denn die Kosten für einen derartigen Standort sind für diese Branche und Ihre möglichen Umsätze kaum mehr erschwinglich.
Weil wir gerade von Umsätzen reden – der Rückgang von Hochzeitslisten hat sicher auch dazu beigetragen, dass viele Traditionsgeschäfte das Handtuch werfen mussten. Der mittelständische Einzelhandel kämpft in allen Branchen einen ungleichen Kampf gegen die großen Ketten, die wieder einen heroischen Kampf gegen die Onlineshops führen. Inmitten dieses Verdrängungswettbewerbs entwickelte sich auch die Haushaltsausstattung in völlig neue Richtungen.
Wenn Sie heute z. B. die seinerzeitigen Vorhersagen des „Popcorn Reports“ genauer betrachten oder die seinerzeit zur Gemeinschaftswerbung führenden, berüchtigte „Gutjahr Studie“ noch einmal Revue passieren lassen, dann werden Sie feststellen, dass für die GPK-Branche rosige Zeiten vorhergesagt wurden, die aber leider nie Realität wurden – aber das ist eine andere Geschichte.
Faktum ist, dass man im Rahmen des „Cocooning“-Trends auch eine stärkere Nachfrage nach „Edelhausrat“ angenommen hatte, was bis zu einem gewissen Grad auch stimmte. Nur hatte man die Verlagerung der Anbieter vom beratenden Fachhandel zu Einrichtungshäusern nicht vorher gesehen Die Möbelhäuser profitierten von der Pendelbewegung „zurück ins traute Heim“ und erkannten, dass man mit GPK sehr einfach zusätzliche Umsätze generieren kann. Wer sich einrichtet, hat meist auch Bedarf für Tisch und Küche. Die großen Einrichtungsketten machen daher heute mehr als ein Viertel ihres Umsatzes mit Produkten unserer Branche, ohne Beratung, ohne Marken­image und ohne jede Tradition. Der Konsument akzeptiert, dass er sich dort selbst durchkämpfen muss – in vielen Fällen sogar mit Genuss, weil man die Produkte ohne entsetzten Aufschrei des beratenden Verkaufspersonals angreifen darf. So manche Haushaltsgründung wird komplett im Stil von „IKEA“ oder „XXL Lutz“ realisiert, und eine Pendelbewegung zurück zum beratenden Handel ist kaum in Sicht.
Diese Verschiebung der Anbieter ist allerdings nicht der einzige Grund, dass die „Aussteuer“ ein Fremdwort und die Hochzeitsliste ein vielfach überholtes Ritual geworden ist. Wieviele Paare kennen Sie, die schon länger zusammenlebten, bevor sie den Gang zu Standesamt und Kirche antraten? Alle diese „Lebensabschnittsgemeinschaften“, waren sicher schon voll ausgestattet, bevor sie sich ihre Beziehung auch offiziell bestätigen ließen. Also gab es keine Notwendigkeit, damit neu zu beginnen, oder, wie es der Kenner der österreichischen Seele, Professor Ringel, bei einem unserer Workshops zu diesem Thema ausdrückte: „… das Kaffehäferl, das ich nach der Hochzeitsnacht benutzt habe, hatte einen derart emotionalen Wert für uns, der durch keine noch so berühmte Markenware ersetzbar gewesen wäre!“ Alle diese gemeinsamen Dinge, auch die, die man selbst eingebracht hatte, all das war eben „unser“ Haushalt.
Mich persönlich hat einmal eine Kollegin auf dem falschen Fuß erwischt, als sie mich fragte, ob ich ihr einen Teller aus ihrer Hochzeitsausstattung besorgen könnte, weil sie den unbedingt wieder haben möchte. Meine Reaktion auf das gezeigte Musterstück, einen Festonteller mit Goldrand aus bulgarischer Produktion, fiel so aus, dass sie wochenlang nicht mehr mit mir sprach. Das Wort „Glumpert“ sollte man in solchen Fällen eher nicht gebrauchen … Aber das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Sichtweisen der „Experten“ und der „Benutzer“ auseinanderklaffen. Während Produzenten und Handel über jedes Design, über neue Dekore und die Qualität eines Porzellanscherbens ins Schwärmen geraten können, sind diese Kriterien heutigen Generationen heiratswilliger Mitbürger ziemlich egal. Man findet nichts dabei, Besteck beim Kaffeeröster und die schönen weißen Teller beim Möbelhändler zu kaufen.
Aber nicht nur bei der Qualität erfolgte eine mehr als dramatische Entwicklung, auch bei der Quantität hat die gesellschaftliche Entwicklung tiefe Spuren hinterlassen. Die traditionelle Set-Zusammenstellung für sechs Personen, seinerzeit für durchschnittliche Familiengrößen konzipiert, sind längst überholt. Und vor allem die traditionelle Lebensweise der Großbürger, eine Kopie des höfischen Gepränges in gastlichen Gelagen zu zeigen, ist verschwunden. Das gesellschaftliche Vorbild der von Friedrich Torberg zum Denkmal erhobenen Tante Jolesch, deren Lebensinhalt das Bewirten von Familie und Gästen war, ist ausgestorben. Frauen in Doppelbelastung haben keine Ambitionen, ihre Erfüllung im Aufkochen und in der Tischdekoration zu suchen, sondern verlegen Gastmahle vernünftigerweise in entsprechende Lokale, wo frau sich auch als Gast und nicht nur als Gastgeberin fühlen kann. Daher wurde die Menge des benötigten Geschirrs, Bestecks und der Gläser im durchschnittlichen Haushalt geringer. Diese Entwicklung zwang die Markenfirmen dazu, sich eigene „Flagshipstores“ zu leisten, in denen auch das Sortiment gesteuert werden konnte. Dass jetzt auch noch Versandhandel und Online-Shops mitzumischen beginnen und der Lebensmittelhandel die Attraktivität von GPK-Produkten als Boni erkannt hat, trägt weiter dazu bei, dass die traditionelle Form der Hausstandsgründung immer weniger wird.
Das waren also Vergangenheit und triste Gegenwart. Schauen wir uns aber auch einmal die konkreten Zahlen an: Jedes Jahr heiraten in Österreich und der Schweiz jeweils durchschnittlich 40.000 bis 42.000 Paare. Das wäre also durchaus eine Zielgruppe, die es wert wäre, stärker beworben zu werden. Wenn man sich dazu das Alter der Hochzeiter ansieht (Österreich: Frauen mit 28,9 und Männer mit 31,7 Jahren, Schweiz: Frauen mit 29,6 und Männer mit 31,8 Jahren), dann merkt man, dass diese Menschen duchaus bereits aus der Sturm- und Drangzeit heraus sind. Was dafür spricht, dass sie schon eine Weile zusammen lebten und dass möglicherweise die Ausstattung auch bei vorher getrennten Wohnungen in kleineren Mengen vorhanden war oder ist, denn man kann davon ausgehen, dass nicht alle vor der Eheschließung im „Hotel Mama“ residiert haben. Das bedeutet, dass man schon in früheren Lebensjahren Tischkultur, sprich Ess- und Trinkkultur, promoten müsste.
Das Problem, dass es keine „Tischkulturbranche“ gibt, die eine gemeinsame Kampagne lancieren könnte, ist zwar wie eh und je ungelöst, wenn es aber nicht gelingt, davon zu überzeugen, dass die „Tischkultur“ in Funktion und Image unverzichtbar zu einer kultivierten Lebensqualität gehört, wird auch die nächste Generation kaum einen Gedanken an diese Produkte verschwenden, auch wenn man im Falle des Scheiterns einer Ehe formalistisch noch immer von „getrennt von Tisch und Bett“ spricht. Übrigens: Die Frauen und Männer, die nach den rund 16.000 Scheidungen alleine zurück bleiben, könnten auch eine Zielgruppe für den Absatz von neuer Tischausstattung sein …

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