Samstag, 9. Oktober 2021

Pythia 2021?

        



John Collier | Wikimedia, Montage: greiner mediendesign 

Die antike Pythia sprach einst  in Rätseln – genau wie wir es  täglich hören, wenn es darum geht, negative Trends zu bekämpfen … 

Die Onlineshops tun das etwa äußerst erfolgreich mit dem schlechten Gewissen, die klassischen Medien mit jungen Wilden und ihren Millionen von Followern, ohne jemals zu sagen, wie viele davon als Kunden überhaupt in Frage kommen. Und mit einem ganz neuen Stil passiert das bei Messeausstellern, wo man anscheinend die Ansicht vertritt, dass es überflüssig sei, sein Programm  wenigstens einmal im Jahr der Öffent-lichkeit zu präsentieren – weil man ohnehin nur mehr an die Big Player für Diskontaktionen liefert? Alles Fragen, die auch eine heutige Pythia herausfordern würden …
Nehmen Sie z. B. nur dieses Magazin, 1973 gegründet und damals ganz modern in Offset gedruckt. Da gab es Setzer, die den Redaktionstext fachgerecht setzten und in Spalten aufteilten, da gab es Lithographen, die das verfilmten, und Repro-Anstalten, die die damals sauteuren Farb-bilder druckreif machten. Klingt passenderweise wie die Geschichte der Dinosaurier, denn auch diese Berufsgruppen gibt es alle nicht mehr. Die Magazine, Zeitschriften und Prospekte schossen in den Markt hinein, und im stillen Kämmerlein bastelte bald jeder Mittelschüler an seinem eigenen Projekt. Und auch das hatte (zumindest als Printprodukt) spätestens dann ein Ablaufdatum, als das Internet seinen Siegeszug angetreten hat. 

Soziale Medien sind jetzt am Drücker und bringen Verwirrung in die Marktkommuni-kation. Denn auch dort kann jeder halbwegs begabte Mensch, der lesen und schreiben kann, die Welt mit seiner Meinung beglücken – und manchmal ist diese Meinung wohlfeil und kann erworben werden. Influencer sind diese neuesten Wunderwaffen in den sozialen Netzwerken. Wer aber sind diese Wunderwuzzis, die sich anschicken, die klassische Werbeszene zu verändern? Neben bekannten Persönlichkeiten aus dem Showbiz und aus dem Sport sind es Personen, die sich selbst inszenieren und mit den Einblicken in ihre Welt und auch ihren Alltag Vorbildwirkung erreichen. 
Derzeit gilt die Regel, dass man bis zu 100.000 Abonnenten von „Mikro-Influencern“ spricht, danach von „Makro-Influencern“ – und ab mehr als einer Million Abonnenten wird man zum „Mega-Influencer“. Auch für Influencer gilt der Grundsatz, dass Werbung gekennzeichnet werden muss, auch wenn dafür kein Geld bezahlt wird, denn alle Gegenleistungen gelten als Bezahlung. Über die Art, wie Werbung gekennzeichnet werden soll, ähnlich den sonstigen Mediengesetzen, ist man sich allerdings noch immer nicht einig. Auch Influencer werden aber grundsätzlich kontrolliert. Für Steuern und Abgaben ist die Finanz zuständig, und wer gegen die Kennzeichnungspflicht verstößt, kann mit einer Verwaltungsstrafe bis zu 
EUR 20.000,– belegt werden. 
Werbekunden setzten in den letzten Jahren immer öfter anstelle klassischer Anzeigen auf diese Art der PR. Der Konsument soll so die Werbebotschaft viel persönlicher und direkter empfangen, also wird Unterhaltung und Werbung geschickt gemixt. An die 150 bis 200 Influencer gibt es alleine in Österreich, der erwirtschaftete Werbeumsatz ist statistisch nicht erfasst, und auch die Erfolgsrechnung für einen Rückfluss ist noch nicht gegeben. Man weiß aber, dass nur vier Prozent von ihrer Tätigkeit leben.*
Pythia meint: „Es gilt, was schon Väterchen Lenin sagte: ‚Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser‘.  In Zeiten wie diesen bringt in einem Gewerbe wie der Werbewirtschaft, die ja keine Gewährleistung kennt, jeder Kontrollmechanismus bares Geld ins Unternehmen. Millionen Abonnenten bedeuten wie viele potenzielle Kunden …?“

Auch der Gewinner der Pandemie-Konjunktur, der Online-Handel, steht nicht sehr transparent da. So behauptet Amazon nach wie vor (und bewirbt das auch recht heftig), dass man kein Handels-, sondern ein Logistikunternehmen wäre. Was das im Detail heißt, ist nicht so ohne Weiteres zu erkennen. Sicher ist nur, dass man sich damit aus bestehenden Handels-Kollektivverträgen ausklinken kann und dass auch Umsatzsteuern etc. anders beurteilt werden müssen, denn genau genommen ist ein Logistikunternehmen eine Verteilerorganisation ähnlich der Post. Tatsächlich aber überfährt dieses Unternehmen den Einzelhandel wie mit einer Walze, denn jeder Besteller bei dieser Art von Warenbeschaffung ist eben ein verlorener Kunde für den stationären Laden. Und jeder verlorene Kunde bedeutet irgendwann einmal auch das Ende dieses Ladens und dann das Ende eines Grätzels – hier müsste Pythia auch noch zur Immobilienexpertin aufsteigen, aber was nationaler Kaufkraftabfluss bedeutet, müsste sogar ein Handelsschüler errechnen können. 
Argumente an die Konsumenten, patriotisch zu agieren, haben noch nie funktioniert, und wenn die Post ihrem besten Kunden, Amazon, 
vorgetäuschte österreichische Gesinnung entgegenstellt, ist das nur peinlich. In unserem Artikel haben wir auch schlechtes Gewissen verpackt, schließlich reißen wir seit zig Jahren alles Mögliche auf, um Industrie und Handel zu verbinden, für Fairness zu intervenieren und die Branche gut aussehen zu lassen. Haben Sie jetzt ein schlechtes Gewissen, weil Sie in Social Media werben? Na eben!
Es gibt viele Nachteile, die der Absatz via Internet bringt. Wollen Sie ein paar Schlagzeilen aus der Tagespresse lesen? „Paketzusteller wollen nicht in den 3. Stock“ – „Die miese Masche der Paket-diebe“ – „Betrüger bestellten unter falschem Namen“ – „Abfall explodiert – 260 Millionen Pakete im Vorjahr“ – „Niemand da? Post will Packerln einfach bis ins Vorzimmer liefern“ – oder auch „Online Bestellung kam nicht, Wiener soll trotzdem blechen!“ … 
Die Verunsicherung beim Konsumenten ist allerdings nicht groß genug, auch wenn die Beweislast bei Problemen praktisch immer bei ihm liegt. Wenn eine Unterschrift auf der Übernahme-Bestätigung steht, dann prüft das niemand, und wenn das Paket von Unbefugten übernommen wurde, zahlt trotzdem der Besteller. Auch der gesamte Energieaufwand beim Versand ist gigantisch gewachsen. Denn jetzt ist es der Letztverbraucher, der direkt beliefert wird, während er früher seinen Einkauf brav mit anderen Produkten selbst nach Hause transportiert hat. Die unzähligen Retouren, die ja zu dieser Art von Vertrieb gehören, sind längst noch nicht vollständig statistisch erfasst, und über Steuern reden wir hier lieber nicht, denn Politik und Wirtschaft haben oft nicht die gleichen Ansichten, aber für faire Wettbewerbsbedingungen wären die Herren und Damen in Brüssel sehr wohl zuständig. Wenn lokale Viertel mangels Nachfrage verelenden, weil alles via Internet disponiert wird, dann ist das ein Umstand, der es wert wäre, zumindest diskutiert zu werden.
Pythia meint: „Wer den Verkäufer nicht ehrt, ist des Postboten nicht wert. Bares Geld gegen bare Ware ist noch immer der richtige Weg. Etwas in die Hand nehmen zu können, bedeutet Wert, nicht Fiktion. Wer sich mit der Logistik ins Bett legt, der betrügt faires Marketing. National ist nie ein Kriterium, aber internationaler Handel sollte immer auch regionale Eigenheit fördern und schützen. Täglich wird die Vorstadt um einen Laden ärmer. Gebt den Nationalstaaten, was der Nationalstaaten ist.“

Last but not am unwichtigsten – die Situation in der Messeszene. Messen sind seit Jahrhunderten der Treibstoff der Wirtschaft. Wer Neues verkaufen will, muss den Konsumenten erst die Freude am Alten nehmen. Und das geht nur in der Reihenfolge: Präsentation und Multiplikation des Neuen und Trendigen durch die Medien. Nicht die einzelne Präsentation, sondern die geballte Kraft einer Branche bringt das entscheidende Medien-echo – das kann international sein, das kann national sein, das kann auch nur lokal sein, aber es ist wichtig, den Leuten zu zeigen, dass „das Alte“ ausgedient hat und Neues erstrebenswert ist. 
Das geschah in den „goldenen Zeiten“ in wahrer Perfektion, und es gibt unendlich viele Geschichten über kreative Inszenierungen, die durchaus das entscheidende Echo in allen Medien erfahren haben und die Designer, Entwerfer und Modeleute fast zu Popstars machten. Lang, lang ist’s her, und Sparefroh wurde inzwischen in vielen Fällen Manager für Events und Messen.
Jetzt ist die Welle an Schließungen wieder im Abebben und Licht am Endes Tunnels zu sehen, wie wird’s also weitergehen? Die Städte habe Millionen in die Anlagen gesteckt und wollen Renditen sehen, die Veranstalter kämpfen mit Teilnehmern und sparen bei der Werbung, und die entsprechenden Medien halten sich daher auch zurück, denn „ohne Geld ka Musi“, wie man bei uns so gerne sagt. 
Die große Anstrengung würde bedeuten, dass sich alle, wirklich alle relevanten Kräfte zu einer Präsentation der Superklasse zusammenschließen würden – auch alle jene, die meinen, dass sie keine derartigen Veranstaltungen brauchen, weil sie nur an ein paar Diskonter liefern, die den Hauptanteil am Betriebsergebnis ausmachen. Oder weil sie so bedeutend geworden sind, dass man nicht an ihnen vorbeigehen kann. Durchaus berechtigt, aber wenn diese Branche nicht bald wieder in die Gänge kommt und ihre Produkte nicht auch ein Synonym für Lebensqualität sind, dann werden diese vermeintlich „unsinkbaren“ Schlachtschiffe merken, dass auch sie ersetzbar sind. Solidarität hat nicht nur der Arbeiterbewegung bei der Durchsetzung ihrer Forderungen geholfen, sondern könnte auch einmal einer gesamten Branche wieder an die Öffentlichkeit helfen, die sie verdient!
Pythia meint: „Und wenn du Gold zu verschenken hättest, würdest du auch darauf sitzen bleiben, wenn du es niemandem sagst. Infotainment ist kein Modewort, sondern Grundprinzip für erfolgreiche Präsentationen. Flächen vermieten kann jeder Makler, Messen brauchen aber Inszenierung. Magnete ziehen an, es gibt auch Unternehmen, die wie ein Magnet sind, und die müssen daher in der Veranstaltung dabei sein, koste es, was es wolle. Nur wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Und: Wie bringe ich den Besucher von A nach B, und wer ist dafür verantwortlich? Unterschätze nie die (Un)Attraktivität eines Standorts!“

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