Montag, 29. Januar 2018

Design oder nicht mehr sein?


Foto: Wikimedia Commons | Niklas Morberg

Es gab Zeiten, da waren Marketingstrategien eng mit zeitgenössischem Design verbunden. Experten und solche, die sich dafür hielten, predigten Land auf und Land ein, dass Design der absolute Konjunkturmotor sei. Skeptiker galten als Fossile. Beide Seiten hatten unrecht, wie die Ent­wicklung zeigt. Design war nur in Einzelfällen ein echter Umsatzbringer, und sich an klassischen Vorbildern zu orientieren, zeigte auch keine nachhaltige Wirkung. Beide Seiten scheinen einen entscheidenden Faktor vergessen zu haben – den unfolgsamen Konsumenten.


Um den Begriff Design zu erklären, muss man wohl oder übel relativ weit in die Vergangenheit zurückschauen, denn in der vorindustriellen Zeit kannte man den Designer noch nicht. Erst als die Entwicklung zur Massenproduktion begann, ergab sich die Notwendigkeit, einen Prototyp herzustellen. Vorerst übernahmen Künstler die Aufgabe, den Geschmack eines nunmehr anonymen Publikums zu treffen. In England, der Wiege der Industrie, nannte man diesen neuen Beruf „modeller“ – so wie später in der deutschen Porzellanindustrie „Modelleur“. Eine der ersten frühen und bekannten Vertreter dieses neuen Berufs war John Flaxman, ein Londoner Bildhauer, der für Wedgwood arbeitete. Was also die Designszene betrifft, stand die Branche schon immer im Mittelpunkt. Die bis heute andauernde Diskussion um das Berufsbild des Designers ist auch in jener Gründerzeit durchaus aktuell gewesen. Aus der Mittlerposition zwischen den konträren Welten „Kunst“ und „Industrie“ entstanden die Zweige „Angewandte Kunst“, „Kunsthandwerk“ und „Kunstindustrie“. Die darin enthaltenen Widersprüche wirken bis in unsere Tage und werden recht beharrlich durch das offizielle, akademische Berufsbild des Designers überdeckt, denn innerhalb der Ausbildung, aber auch in der Praxis, stehen betriebswirtschaftliche oder marktorientierte Vorgaben selten im Mittelpunkt …

Doch zurück zur Geschichte: Die Entwicklung der „Ästhetik der Maschine“, wie so mancher Romantiker schon um 1850 angewidert anmerkte, hat viele hervorragende Vertreter und Richtungen hervorgebracht – denken Sie an „Arts and Crafts“, das Bauhaus, an die Wiener Werkstätten, an Gottfried Semper, an Walter Gropius, an Josef Hoffmann oder den Werkbund usw., alle im Bestreben, ein „Gesamtkunstwerk“ zu schaffen, und das innerhalb des Schlagworts einer „Neuen Sachlichkeit“, einer künstlerisch-formalistischen Philosophie, heute die „klassische Moderne“ genannt. Im Deutschem Werkbund findet man dann um 1926 herum auch zum ersten Mal so etwas wie die totale Durchgestaltung eines Unternehmens, von den Produkten hin bis zur Marktkommunikation. Es war Peter Behrens, der die Elektrofirma „AEG“ derart durchkonzipierte – die Geburtsstunde der modernen Corporate Identy mittels des Corporate Designs.
Was wir heute unter Design verstehen, ist allerdings meist die kommerzielle Variante, das„Industrial Design“, und hat (wie könnte es anders sein), ihren Ursprung in den USA. Als sich Mitte der 20er-Jahre Symptome einer Überproduktion zeigten, rückte die Gestaltung eines Produkts immer stärker in den Mittelpunkt. Es war vor allem die Autoindustrie, die diese Gestaltung forcierte. So richtete GM eine Abteilung „Art and Color“ ein, die sich regelmäßig mit gestalterischen Veränderungen der Modelle beschäftigte. Das war so erfolgreich, dass die Mitbewerber in kürzester Zeit nachzogen. Die Männer der ersten Stunde kamen aus den verschiedensten Bereichen, hauptsächlich aus der Werbung und Werbegestaltung, etliche waren auch Bühnenbildner. Der bekannteste aus dieser Gruppe war sicher Raymond Loewy, der mit seinem „stromlinienförmigen“ Kühlschrank mit einem ausgetüftelten Innenleben für Furore sorgte. Die Umsatzzahlen verdoppelten sich in kurzer Zeit und wurden in der Wirtschaft der 30er Jahre zum Symbol für „Design sells“. Der Berufsstand etablierte sich zum ersten Berufsverband der „Industrial Designers Society of America“, seine Mitglieder galten als „commercial artists“ und sahen sich selbst als Handwerker der visuellen Suggestion.
Als der zweite Weltkrieg begann, wurde eigentlich nur in den USA und in den skandinavischen Länder der beschrittene Weg fortgesetzt. Speziell in Skandinavien entstand dabei ein eigener Stil, der in den Nachkriegsjahren eine ganze Generation faszinieren sollte – diese „organische“ Formensprache war für viele junge Leute speziell in den Kriegsnationen der ultimative Ausdruck einer neuen Zeit. Die 50er-Jahre, schon ein wenig weg vom Kriegsende und am Beginn des sogenannten Wirtschaftswunders, brachte wieder Schwung in die Güterproduktion, gepaart mit einem ungeheuren Nachholbedarf – kein Unternehmen musste die Nachfrage beleben, sondern ausschließlich für Lieferung der begehrten Güter sorgen. Es war die Zeit, in der man das sprichwörtliche „… aus der Hand reißen“ täglich erleben konnte. Und das galt ebenso in unserer Branche, auch wenn das heute etwas seltsam erscheint. In der Weihnachtssaison 1957 gab es in der Wiener Mariahilferstraße ein bekanntes Glas-Porzellan-Geschäft, das an einem damals offenen Sonntag wegen gefährlicher Überfüllung polizeilich gesperrt werden musste – Einlass erst wieder dann, wenn ein Kunde das Geschäft verließ. Heute unvorstellbar, und das ganz ohne Sonderangebote, Black Friday oder sonstige Schnäppchenjagden. Produkte für den gedeckten Tisch standen damals in den von vielen Zeitungen erhobenen Wunschlisten immer unter den wichtigsten Wünschen. Behalten Sie diese Zeit im Gedächtnis, denn weder Design noch ultimative Rabatte waren für diesen Boom verantwortlich, sondern das Gefühl, dass ein schön gedeckter Tisch endlich wieder zur Lebensqualität gehört.
Aber auch in dieser Branche erwachte die Designszene wieder zum Leben. Zwar war im Nationalsozialismus der Begriff „Design“ eher verpönt, aber es gab doch eine ganze Reihe prominenter Persönlichkeiten aus den 30er-Jahren, die nun wieder arbeiten durften und konnten. In Kopenhagen errichtete der Schwede Sigvard Bernadotte ein Büro für Industriedesign, und Raymond Loewy eröffnete in seiner Heimat in Paris ein Filiale. Und natürlich begann auch in Selb bei Rosenthal die lange andauernde Design-Epoche. 1955 sprach man dabei noch von der Fortführung der Bauhaus-Tradition mit Namen wie Wilhelm Wagenfeld, Hans Theo Baumann, Bjørn Wiinblad, Tapio Wirkola, aber auch mit dem Vater des Designs, Raymond Loewy. 1990 sprach man dann schon mehr von Salvador Dalí, Andy Warhol, Gianni Versace oder Marcello Morandini. Hochkarätige Künstler – aber wo war der Begriff Industrial Design geblieben?
Diese Frage wollte niemand beantworten, ja nicht einmal stellen. Erinnern Sie sich noch? Wir sprachen von „commercial artists“ und nicht von Künstlern, die sich in diesem Genre versuchten. Es war inzwischen der recht verschwiegene Kampf zweier Arbeitsphilosophien entstanden: „form follows function“ und die revolutionäre Variante „form follows fiction“. Wer im Internet ein wenig nachliest, der findet dabei recht schöne Formulierungen, wie etwa: „… es ist wie der Kampf zwischen Popmusik und Punk …!“ Da gab es z.B. die Gruppe Memphis, die mit ihren schrägen Produkten, bar jeder Funktionalität, Design zu einer eigenen Kunstform hochstilisierte. Wie schön war es, als einer der prominentesten Vertreter der Gruppe, Matteo Thun, später das „Recht der Menschen auf Kitsch“ propagierte und dafür auch Entwürfe lieferte. Viele sprachen im Zusammenhang mit der Memphis-Ideologie von in Form gebrachtem Antikapitalismus oder gerade heraus vom „Great Design Swindle“. Aber viele der Konsumgeschädigten fanden diese Ableger einer Pop-Kultur richtig Klasse. Da gab es z. B. die Künstler-Sammeltassen von Rosenthal, die völlig unverwendbar waren, aber so toll aussahen, dass man sie als kreativer Mensch einfach haben wollte. Das Objekt war geboren. In diesem Jahr feiern die Design-Freaks 25 Jahre „Juicy Salif“, die ebenfalls unverwendbare Zitronenpresse von Philippe Starck, dem Popstar unter den Designern. Die Zitronenpresse ist ein Klassiker der Philosophie „form follows fiction“! Als sich am Horizont bereits eine Rezession für die GPK-Branche abzeichnete, versuchten die Hersteller alles, um die Nachfrage anzukurbeln. Man engagierte Modeschöpfer, die heute ja in der Öffentlichkeit als die eigentlichen Designer gelten, die aber mit attraktiven Dekoren auch nichts am langsamen Schwinden des Interesses am gedeckten Tisch ändern konnten. Und die Designgrößen, die auch an den Akademien lehrten und so den Beruf des Designers akademisch machten, versuchten durchzusetzen, dass die angestellten Designer in den Betrieben automatisch zur Geschäftsleitung gehören sollten.
Die Problematik, ständig mit neuen Produkten den Markt zu beleben, ging in dieser Branche gründlich schief. Der fromme Wunsch, in vielen Studien festgehalten, dass die Konsumenten wie beim Autokauf, bei der Kleidung und vielen Accessoires öfters die Produkte wechseln würden oder dass man Markensteigerungen aus Imagegründen macht, ging nie in Erfüllung. Ganz im Gegenteil – bei den zuletzt veröffentlichten Wünschen zur Weihnachtszeit kommt Edelhausrat überhaupt nicht mehr vor. Kein Livestylemagazin bringt Artikel über eine neue Form und ein Interview mit dem Designer. Nur die Lebensmittelindustrie freut sich, denn ihr stehen nun hochkarätige Tischausstattungsaccessoires als Rabattprämien zur Verfügung.
Es wäre unfair, den Designern die Schieflage der Branche in die Schuhe zu schieben, aber sie haben auch nichts dagegen getan, dass diese Lage entstanden ist. Konsumenten finden keine Verbesserung ihrer Lebensqualität mehr darin, ihren Tisch schön zu decken. Und was nicht verwendet wird, geht auch nicht kaputt – oder fragen sie einmal die Hersteller von Geschirrspülmitteln. Die werden ihnen die Ohren davon voll singen, wie wenig sie verkaufen. Wenn der Verbraucher keinen Sinn darin sieht, Bier aus einem schönen Glas zu trinken, ein Besteck zu verwenden, das sich nicht leicht verbiegt oder wie ein Prügel in der Hand liegt, ein Porzellanset zu besitzen, das täglich Freude macht und das mit Stolz auch hergezeigt wird, dann hat auch jeder Designer wenig Chance, „form follows economy“ für eine Tischkultur 2.0 zu entwerfen.

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