Dienstag, 5. Juni 2018

Von „statt“ bis „Sie ersparen sich“ …


Foto: DDRockstar | Fotolia.com 

Der Beginn der aktuellen Handelsphilosophie, die da lautet: „Wir können nur billig“, hat sich langsam zur heutigen Perfektion entwickelt. In den Anfängen hieß es noch ganz schüchtern „statt 0,99 nur 0,88“ – und alle jubelten. Heute muss da schon heftiger zugeschlagen werden, Sie müssen sich nur ein wenig in den Medien umschauen …


Sie müssen allerdings nicht viel herumsuchen. Jede Woche kleben Karten mit Stickern auf den Tageszeitungen (die sind meist auch schon gratis), die Ihnen 25  Prozent auf ihre Lieblingslebensmittel oder sonst was garantieren. Oder im Fernsehen, da hat man den Eindruck, dass es z. B. im Möbel­handel überhaupt keine normalen Verkaufsperioden mehr gibt. Täglich hat irgendjemand ein Jubiläum, oder es gibt einen Sonderverkauf für die Saison, oder der Hauptdarsteller dieser Ankündigungen hatte Kopfweh – die Gründe sind eigentlich egal, Hauptsache „satte Rabatte“ (Copyright : eine österreichische, in deutscher Hand befindliche Lebensmittelkette). Was Sie sich laut TV-Spots sogar bei der Anschaffung eines Neuwagens offiziell ersparen können, ist sagenhaft, vom Allgemeinwissen über individuell erzielbare Reduktionen ganz zu schweigen. Und während meiner derzeitigen Kaffeepause erreicht mich das wichtige Mail, dass ich beim Absender bis zu 60  Prozent für Reisen zu meinen Traumzielen sparen kann – und 25 Prozent, wenn ich rasch mal in die Karibik will. Man macht uns zu glücklichen Menschen, die gar nicht so viele Taschenrechner haben können, wie es Rabatte gibt.

Und bei all diesem Lärm, den die hochbegabten Marketingstrategen veranstalten, vergisst man oft darauf, die wichtigste Frage zu stellen: Wieso erspare ich mir etwas? Da kommt nun der strahlende Held aller Aktionen ins Spiel – der (Hersteller)Listenpreis oder der „unverbindlich empfohlene Verkaufspreis“. Ohne ihn gäbe es diese Aktionen gar nicht, denn wie heißt es so schön „Der Vergleich macht Sie sicher!“ Damit wären wir beim entscheidenden Punkt aller dieser Aktionen, womit nämlich verglichen werden kann, um zu beweisen, dass man ein „Schnäppchen“, eine „Mezzie“, eben ein sensationelles Produkt zu einem ebensolchen Preis erstanden hat. Das ist des Pudels Kern, denn der Käufer muss ja damit eine ausgiebige Streicheleinheit seines Ego erzielen können. Gerade jetzt wirbt z. B. jemand mit dem Begriff „Schlauberger“ und trifft damit die entscheidende Zielgruppe haargenau, denn wer will schon kein solcher „Schlauberger“ sein?
Aber in der guten alten Zeit, als die „unverbindlich empfohlenen Verkaufspreise“ entstanden, hatten sie den genau gegenteiligen Zweck. Im Sinne der aufkeimenden Markenpolitik (wir sprechen jetzt vom Spätzünder GPK-Branche) wollte man garantieren, dass Produkte der Marke XYZ nirgendwo unter diesem Preis auftauchten. Wichtig fürs Image, aber auch für die Möglichkeit, die Verdienstmargen seiner Handelspartner selbst regulieren zu können. Und das funktionierte ganz hervorragend, vor allem als man den regionalen Großhandel ausgeschaltet hatte. Die gesamte Handelsspanne des Großhandels stand ja nun zur Verfügung, um den Nachholbedarf an Marketing zu decken. Man begann den mittelständischen Einzelhandel zu entmündigen, ein Versuch, der, wie wir heute wissen, schief ging.
Da wurden Abteilungen eingerichtet, Shop-in-Shop-Lösungen angeboten, Displaydienst und Flyer inflationär verteilt – aber nie wirklich selbst Absatzwerbung betrieben – es war nur PR angesagt, was Designer und auch so manche Marke bekannt machte, aber dem Einzelhandel relativ wenig Impulse gab. Keiner der Einzelhändler konnte z. B. seine Standortvorteile nutzen. Billige Miete oder eigenes Haus mussten dabei nicht in die Kalkulation einfließen, durften es auch nicht, da ja der Preis festgelegt war. Für Marketingexperten in der Industrie ein wichtiges Element, um Dumpingaktivitäten zu verhindern, was aber schlussendlich den Konsumenten nicht nachhaltig beeinflussen konnte.
Der damals übliche Ausverkauf, Schlussverkauf oder Inventurverkauf war noch gesetzlich geregelt und durfte nur zu bestimmten Zeiten stattfinden. Sehr zum Gaudium vor allem großflächiger Geschäfte, bei denen es in dieser Zeit zu wahren Einkaufsschlachten kam. Szenen, die faktisch jeder Kabarettist, der etwas auf sich hielt, in sein Programm aufnahm. Aber das waren Warnsignale, da sich die Konsumenten ja durchaus mit minderen Produkten zufrieden gaben, die vielfach nicht in der Lage waren, die Produktvorteile (außer der Optik) zu erklären. Gewiefte Marketingmanager etwa in der Lebensmittelbranche sahen da bald ganz tolle Absatzchancen …
Die Verbindung Industrie/Handel funktionierte auf der Basis der Listenpreise minus Händlerrabatt. Ohne sich groß um Marktanalysen zu kümmern, wurden Preise festgelegt und dem Händler eine Marge gewährt, die andere Branchen zum Staunen brachte. 100 Prozent waren fast schon die Norm, 130  Prozent durchaus auch noch üblich. Natürlich war das an Mengen gebunden, aber so mancher der A-Lagen-Händler wusste genau, dass man den attraktiven Innenstadt-Standort durchaus erfolgreich als Argument einsetzen konnte.
Die Umschlagshäufigkeit im Einzelhandel war dementsprechend, für die Fabriken ein immer währendes Problem, denn die Kapazitäten liefen mit dem Absatz meist nicht synchron. Die Folgen waren brutal – einige spektakuläre Konkurse, das Verschwinden vieler großer renommierter Handelsunternehmern aus den Citylagen usw. Wir wollen hier nicht die gesamte Chronik auflisten, sie ist allen bekannt. Die großen Handelsorganisationen haben den gordischen Knoten „Listenpreis“ nicht zerschlagen – ganz im Gegenteil. Sie haben sich einfach nicht daran gehalten und sehr darauf gedrängt, dass die Verkaufspreise nach wie vor eingehalten werden, allerdings nicht in ihren Läden. Und (fast) alle Hersteller gingen in die Knie, auch wegen der Tatsache, dass in vielen Betrieben neue Eigentumsverhältnisse und neue Führungen eingezogen waren, die einfach vom Markt zur Einsicht gezwungen wurden, dass es jetzt nicht mehr Design sells“, sondern „Price sells“ hieß. Und damit das funktionierte, mussten natürlich die alten „unverbindlich empfohlenen Verkaufspreise“ (übrigens eine Formulierung, die wegen des Kartellrechts so gewählt werden musste.) weiterhin existieren. Denn wie hätte man sonst sagen können: „Statt 9,99 nur 6,99!“ oder „Sie sparen 1,-!“, wenn man keinen Vergleichspreis anführen hätte können. Seriös, wie man nun einmal so war, wollte man natürlich immer die Wahrheit verkünden. Und die Hersteller, die ja mit ihren eigenen Mono-Markenläden längst ihre Unschuld verloren hatten, mussten natürlich mitspielen, schließlich konnte der noch vorhandene mittelständische Facheinzelhandel die notwendigen Mengen nicht am Markt umsetzen.
Zu den Ersten, der sich dieser Methode bediente, gehörten die deutschen Kaffeeröster. Die brachen intern in Jubel aus, als sie die großen Spannen sahen – denn bei den Spot-Artikeln, die man da in regelmäßigen Abständen anbot, waren Spannen etwa über 40  Prozent gang und gäbe. Und da war nun plötzlich eine attraktive Warengruppe, bei der Preisverhandlungen zu einem Kindergeburtstag wurden. Nur in einem Punkt waren die Herrschaften unerbittlich – es musste die ausgewählte und in der Öffentlichkeit bekannte Marke bleiben.
 Zwei Fälle mögen hier als Illustration dienen: Fall 1: Man suchte ein Teeservice eines deutschen Porzellanherstellers aus, das im normalen Sortiment vorhanden war. Der Preis lag etwa 25 Prozent unter dem üblichen Listenpreis, allerdings wurde das Service nur in Uni angeboten, während es im Katalog nur dekoriert offeriert wurde. Innerhalb von 14 Tagen wurden in Österreich 500 15-teilige Sets verkauft. Eine Verkaufszahl, die diese Form (dekoriert) in ihrer gesamten Laufzeit auf dem Markt nicht einmal annähernd erreicht hatte.
Fall 2: Es wurde ein Küchengerät ausgewählt, dass speziell in der Frühjahrssaison sehr gerne nachgefragt wurde. Der Hersteller hatte Angst wegen eines möglichen Markteinbruchs und setzte es durch, ein Sondergerät mit Sonderverpackung, aber mit Markenbezeichnung anzubieten, welches nicht unmittelbar zu vergleichen war. Auch hier lag der Preis etwas unter dem Durchschnitt, allerdings war des Sondergerät einfacher gehalten und auch die Verpackung nicht übermäßig attraktiv. Laufzeit waren ebenfalls 14 Tage, Bestellung 20.000 Stück und eine Option auf zusätzlich 2.000. Das Gerät war innerhalb dieser Zeit ausverkauft und die Befürchtungen des Herstellers unbegründet. Auch in diesem Jahr wurden die üblichen 40.000 Stück des Standardgeräts abgesetzt. Man hatte nun aber 22.000 Stück mehr – zu einem akzeptablen Preis – abgesetzt.
Solche Fälle waren die Impulse, dass langsam und sicher der einheitliche Preis in der Branche nur mehr Rohmaterial war. Denn eines wurde dabei klar bewiesen, der „neue“ Konsument war in keinem Fall mehr markentreu und musste zu einem Produkt animiert werden. Schließlich verlor kaum einer dieser Lieferanten Marktanteile. Ganz im Gegenteil – man holte neue Kunden ins Geschäft. Wer allerdings geglaubt hatte, dass damit auch die gekauft Marke wieder ins Bewusstsein kam, der irrte. Es entstand eine neue Form von Nachfragebelebung, eine funktionale und psychische Animation. Suggerierter günstiger Preis, auch durch die Zeitbeschränkung. Man hatte aus den Erfolgen der einstmals zeitlich eingeschränkten Abverkäufe (sie erinnern sich) gelernt. Nach der Aktionszeit gab es in den vielen Filialen der Kaffeeläden kein Stück mehr – eine Masche, aber sehr erfolgreich. Natürlich mussten die nicht verkauften Stücke irgendwo verramscht werden und wurden dies auch, aber eben ohne Öffentlichkeitswirksamkeit.
Diese Erfolge ließen den Lebensmittelhandel nicht ruhen. Die Diskonter zogen nach, mit der gleichen Methode, mit massenweise Prospektverteilung und mit mehr als bunten Warenangeboten. Es gibt mittlerweile sogar ein Buch über die Angebote eines sehr großen Diskonters, in dem der gesamte Jahresplan der „Mezzien“ veröffentlicht wird, um Frau Elisabeth Müller nicht immer so enttäuschen, weil zu spät erfolglos abziehen sehen zu müssen. Oder Topmarkenprodukte als Rabattmarkenprämie im Lebensmittelhandel oder dass der Möbelhandel mittlerweile fast ein Viertel seine Umsatzes mit einem traditionellen GPK-Programm macht, oder die Onlineshops. Ganz zu schweigen von den Outlets. Im österreichischen Parndorf gustieren jährlich fast sechs Millionen Besucher auch bei den Markenprodukten unserer Branche (natürlich nur 2A und auslaufende Ware) mit großem Erfolg.
Man wird bald den Handel, der noch immer brav und treu die „normalen“ Preise auszeichnet, subventionieren müssen. Denn wenn es diesen Vergleich nicht mehr gibt, bricht die Philosophie „Price sells“ zusammen. Oder werden die Handelseigenmarken und der Onlineshops Ihres Vertrauens das alles ersetzen?

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