Montag, 6. August 2018

Einstieg Umstieg Ausstieg

Foto: bneni | Fotolia.com 

Diesmal wollen wir uns damit beschäftigen, was KonsumentInnen dazu bringt, sich zur „Tischkultur“ zu bekennen und dafür auch noch Geld auszugeben, also mit einer Motivation, die im Moment etwas eingeschränkt zu sein scheint. Das ist allerdings auch der derzeit einzige wirklich erkennbare Trend …


Das Thema beginnt ja eigentlich schon im Vorspann falsch, denn die Branche „Tischkultur“ gibt es nicht. Wer sich die Kammern oder Innungen ansieht, der wird rasch bemerken, dass davon keine Rede sein kann:. aufgeteilt in Haus- und Küchengeräte, Edelhausrat, Kunsthandwerk, Keramik oder Wirtschaftsglas. Nicht zu vergessen die Metall­industrie, die auch einen großen Teil beisteuert. Wer also nach wirtschaftlichen Daten sucht, um Wachstumschancen oder Ursachenforschung zu betreiben, der wird sich schwer tun. Leichter hatten es da in früheren Tagen die Gurus der Gemeinschaftswerbung, die enorme Zuwächse versprochen haben – und nie wieder gesehen wurden … Sie sind genauso verschwunden, wie viele Läden in den besten Lagen der Städte. Die hat niemand „feindlich“ übernommen, wie es im „Raubtierkapitalismus“ üblich ist, sondern wurden teils lukrativ abgegeben oder  wurden mangels Perspektiven einfach zugesperrt. Das größte Stück vom Umsatzkuchen wanderte zum Möbelhandel, der heute manchmal bis zu einem Viertel seines Umsatzes mit Hausrat macht – inklusive der edleren Teile der Produktfamilie.

as Thema beginnt ja eigentlich schon im Vorspann falsch, denn die Branche „Tischkultur“ gibt es nicht. Wer sich die Kammern oder Innungen ansieht, der wird rasch bemerken, dass davon keine Rede sein kann:. aufgeteilt in Haus- und Küchengeräte, Edelhausrat, Kunsthandwerk, Keramik oder Wirtschaftsglas. Nicht zu vergessen die Metall­industrie, die auch einen großen Teil beisteuert. Wer also nach wirtschaftlichen Daten sucht, um Wachstumschancen oder Ursachenforschung zu betreiben, der wird sich schwer tun. Leichter hatten es da in früheren Tagen die Gurus der Gemeinschaftswerbung, die enorme Zuwächse versprochen haben – und nie wieder gesehen wurden … Sie sind genauso verschwunden, wie viele Läden in den besten Lagen der Städte. Die hat niemand „feindlich“ übernommen, wie es im „Raubtierkapitalismus“ üblich ist, sondern wurden teils lukrativ abgegeben oder  wurden mangels Perspektiven einfach zugesperrt. Das größte Stück vom Umsatzkuchen wanderte zum Möbelhandel, der heute manchmal bis zu einem Viertel seines Umsatzes mit Hausrat macht – inklusive der edleren Teile der Produktfamilie.
Laut Handelsverband machten Einzelhandels- und einzelhandelsnahe Privatausgaben 2017 in Österreich EUR 105,9 Mrd. aus. Davon wurde für Wohnungseinrichtungen EUR 4,4 Mrd. ausgegeben. Darin steckt auch der nicht sehr aussagekräftige „Tischkultur-Umsatz“. Bei acht Millionen Menschen liegt also der Pro-Kopf-Umsatz für Wohnungseinrichtungen bei rund EUR 550. Sie dürfen selbst spekulieren, wie viel davon in den Bereich Tisch & Küche fließt. Daher steht wie immer die Frage im Raum: Wie schaffen wir es, dass das mehr wird? Denn es geht nicht um eine Mission, sondern um eine harte Existenzfrage: Schafft es die Branche, die Konsumenten davon zu überzeugen, dass Tischkultur Lebensqualität und nicht ein überflüssiges Ritual bedeutet? Vielleicht sollte man ja, analog zu den Kilometerkosten beim Auto, errechnen, was eine Mahlzeit bei gedecktem Tisch pro Person kostet. Aber dann müsste man erheben, wer und wie oft seinen Tisch deckt – und leider ist genau dies das eigentliche Problem …

Einstieg
Was war früher die Motivation, sich eine adäquate Tischausstattung zu kaufen? Lassen wir die Vorbilder einmal weg, begann es meist damit, wenn man einen eigenen Hausstand zu gründen begann – Stichworte „Hochzeitsliste“, „Mitgift“, „Aussteuer“. Wir haben schon einmal in dieser Serie über die Bedeutung von Hochzeiten für die Branche berichtet. In letzter Zeit hat sich hier nicht allzu viel geändert. Es wird zwar mehr geheiratet, aber die einst obligatorische „Hochzeitsliste“, sprich Liste der vom Brautpaar gewünschten Produkte für den Haushalt, hat längst an Bedeutung verloren. Es gab sicher Zeiten, in denen schon die Auswahl des Händlers, bei dem man seine Liste aufgelegt hatte, zum Prestige und Image einer Hochzeit beitrug.
Auch dass Ehen nach längerer Zeit des Zusammenlebens geschlossen werden, ist eine Tatsache. Diese Paare brauchen bei der behördlichen/kirchlichen Trauung kaum viel Hausrat, denn schließlich haben sie schon einige Zeit zusammen gegessen und getrunken. Und das sicher nicht nur mit den Fingern oder aus der Flasche. Für viele sind gerade diese Gegenstände aus der „wilden“ Ehe besonders wertvoll, und oft versucht man daher, diese Ausstattung zu ergänzen. Aus eigener Erfahrung kann ich von jener liebenswerte Dame berichten, die fragte, ob wir ihr Teller zur Komplettierung beschaffen könnten: Festonteller aus bulgarischer Produktion, Herkunft Billigsdorf & Co., aber für sie von unschätzbarem sentimentalen Wert …
Auch bei diesem Beispiel zeigt sich das ganze Dilemma einer Branche: Die Qualitätskriterien der Insider und der KonsumentInnen klaffen weit auseinander. Kein Wunder, dass viele Produkte aus den Schnäppchenjagden bei den Lebensmitteldiskontern oder Kaffeeröstern in vielen Haushalten vertreten sind. Was früher von exotischen Produzenten kam, wird jetzt ganz ohne Geheimhaltung auch von den Markenfirmen geliefert. Mangels an Vertriebskanälen für immer größere Kapazitäten ist das kein Sündenfall, sondern absolute Notwendigkeit fürs Überleben. Ein typischer Pyrrhussieg, denn alle diese Vertriebspartner gehen jetzt in Richtung Eigenmarken und Kopien. Da ist mehr zu verdienen, und Markenwerbung, die man in den Hotspots für eigene Frequenzsteigerung nutzen könnte, ist ohnehin kaum vorhanden, die muss man ohnehin selbst machen.
Wo ist also die Zielgruppe, die man motivieren könnte, wieder in höherwertige Tischausstattung zu investieren? Erst müsste man in der Lage sein, diese Investition glaubhaft zu begründen. Was hat der einzelne Konsument davon? Denken sie an den verstorbenen Glasbaron Claus Josef Riedel, der mit seiner Glasserie „Sommelier“ selbst dem unbedarftesten Konsumenten erklären konnte, warum der Veltliner nur aus seinem eigens dafür designten Glas wirklich gut schmeckt. Was bedeutet: In allen anderen Gläser schmeckt er nicht. Punkt! Man muss also wohl mehr auf die Speisen eingehen, auf die Essensgewohnheiten. Nichts wird es bringen, wenn die Köche im TV verkünden „… auch das Auge isst mit!“ Das bringt für den Genuss beim Essen gar nichts, man verkauft vielleicht ein paar eckige Teller mehr. Und dann muss geworben werden, gezielt in den Schulen, gezielt bei Kochsendungen, massiv im Print. Dort muss man vor allem eines machen: Die Sonderangebote frontal angreifen und verteufeln. Denn das erste Gebot des Marketings gilt noch immer: „Wenn du etwas Neues verkaufen willst, musst du den Leuten die Freude am Alten nehmen.“

Umstieg
Mit diesem letzten Satz haben wir schon das zweite Problem der Defizite des Marketings für Tischkultur/Esskultur/Trinkkultur angesprochen. Wie lange bleiben KonsumentInnen an ihrer Erstausstattung kleben? Es gibt keine aussagekräftigen Studien darüber, auch in der guten alten Zeit der Gemeinschaftswerbung gab es dazu keine Zahlen. Professor Erwin Ringel, einmal Gast bei einem unserer Workshops, formulierte es so: „… das Kaffeehäferl, aus dem ich mit meiner Frau nach unserer Hochzeitsnacht Kaffee getrunken habe, hat für mich mehr Wert, als das tollste neue Design …!“
Es ist leider wahr, dass die in unserem Wirtschaftssystem üblichen Kriterien in dieser Branche nicht funktionieren. So wurde es mit Modegurus als dynamische Veränderer des Absatzes intensiv versucht – die Ergebnisse waren eher beschämend. Dabei waren große Namen im Rennen: Joop, Paloma Picasso, Versace, Pierre Cardin, um nur einige zu nennen. Und natürlich der gängige Glaube an die Macht des Designs: In keiner anderen Branche waren so viele und so prominente Namen am Werk. Es wurden auch Erfolge erzielt, der große Wurf war es aber bei keinem Unternehmen. Die auch in Paragons umgesetzten Erfolge kamen kaum über fünf Prozent des Gesamtvolumens z. B. in der Porzellanindustrie hinaus. Und vor allem die Manufakturen bekamen es zu spüren, dass die nachkommenden Käuferschichten immer weniger an diesem Kulturgut interessiert waren. Die Methode der Autoindustrie, mit neuen, schnelleren, sichereren und schnittigeren Modellen „das Alte“ zu vermiesen“, hatte in unserer Branche keinen Erfolg. Auch Funktionsneuheiten waren nicht der große Brüller. Die einfallsreichen Porzelliner in Kahla, mit der doch sehr guten Innovation des schrägen Tellers (Suppe bis zum letzten Tropfen genießen!) mussten etwa zur Kenntnis nehmen, dass der Konsument immer weniger an Produkten für den Tisch interessiert ist. So ging es dem Joghurtlöffel, dem Gourmetlöffel, dem Milchglas, dem Red Bull Glas etc.
Trotzdem sollte eine Zukunft in dieser Richtung möglich sein. Denken wir z. B.an die vielen Vegetarier. Bei den Küchengeräten ist es etwas besser, da hat die steigenden Zahl der durch Kochsendungen animierten Hobbyköche dazu geführt, dass professionelle Qualität nachgefragt wird. Form follows Function – ergänzt durch Fiction – wäre doch einmal zu überlegen …

Ausstieg
Wenn wir Sie bisher deprimiert haben, sagen wir sorry. Aber schöngeredet wird in dieser Branche ja seit Jahrzehnten. Der Ausstieg aus den alten Ritualen der Tischkultur ist grundsätzlich nichts Negatives. Mit Büchern unter den Achseln zu essen, um Haltung zu bewahren, muss ja wirklich nicht sein. Aber um einen neuen „Tischknigge“ zu schaffen (der ja nicht die Welt kostet) könnten sich Hersteller und Handel dieser Branche doch bemühen. Wenn im Fernsehen täglich gegen gute Manieren bei Tisch geworben wird, darf man sich nicht wundern, wenn die große Masse der KonsumentInnen dieses Benehmen akzeptiert und weitergibt. Und nur unsere Branche leidet darunter! Wenn es heißt „Egal, wie du isst, Hauptsache du isst unsere Tiefkühlkost!“ und dabei die Kinder Spinat mit Strohhalm essen, Teller abschlecken und Erbsen im Flug verzehren, darf man ich nicht wundern, dass Tischmanieren völlig „uncool“ sind. Dagegen protestiert auch niemand. Alle Verbände, Vereinigungen etc. beklagen den Verfall der Sitten, aber keiner kommt auf die Idee, einmal in der Öffentlich derartige Werbemethoden anzuprangern. Aus der Flasche zu trinken galt in früheren Jahren als „proletenhaft“ – heute wird in jedem Film hingebungsvoll mit Flaschen angestoßen und natürlich auch aus der Blechdose getrunken. Die Werbegurus haben das zum Trend gemacht, und attraktive junge Damen zeigen, wie sie elegant ihr Wasser oder anderes aus der Flasche süffeln können. Erinnern Sie sich, wir haben ganz am Anfang von Motivation gesprochen, in der Werbung ist das längst geschehen. Allerdings in die gegenteilige Richtung. Und diesen Leuten ist die ganze GPK-Branche völlig egal.
Wem sie allerdings nicht egal ist, der sollte sich Gedanken machen. Die Unternehmen, die zur Tischkultur (Nicht)Branche zählen. sollten sich zusammentun. Wenn nicht, werden Leute wie Fumio Saki zusätzlich noch dazu beitragen, dass unsere Produkte weniger abgesetzt werden. In seinem neuen Buch „Das kann doch weg“ propagiert er, sich von den vielen überflüssigen Dingen zu befreien und damit glücklich zu werden. Dreimal dürfen Sie raten, was auch zu diesen „überflüssigen Dingen“ gehört …

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