Dienstag, 11. Dezember 2018

Ultima Ratio 2000: Zusatzumsatz?

Foto: Kaspars Grinvalds | Adobe Stock 

Niemand wundert sich heute mehr darüber, dass man beim ­Lebensmitteldiskonter Fernreisen buchen kann und die meisten Konsumenten jede Woche schon darauf lauern, was die diversen Diskonter so an Schnäppchen auf den Markt werfen. Der Zusatzumsatz hat mittlerweile zwölf Monate im Jahr Hochsaison, und unsere Branche ist in diesem Geschäft auch oft mitten drin! ­Da muss man nicht einmal genau hinschauen oder suchen.


Die neueste Nachricht war unlängst in der U-Bahn-Zeitung zu lesen: Der Textilgigant C&A kooperiert mit der deutschen Deko-Kette Butlers und wird zukünftig in insgesamt 500 seiner Filialen in Europa die Produkte seines neuen Partners anbieten. Damit setzt sich ein Trend fort, der seinerzeit mit den Aktionen der Kaffeeröster begonnen hat, die neben ihren Kaffeesorten jede Woche irgendwelche Sonderangebote offeriert haben. Es begann mit einer Schnäppchenjagd und hat in vielen Fällen damit geendet, dass die seinerzeitigen Schnäppchen zu einem Standard des Sortiments geworden sind, zwar noch immer als Fremdkörper, aber als Nutzung der vorhandenen Frequenz, ohne große Investition und meist sehr lukrativ. Im Möbelhandel wurden die großen Ketten mit ihren GPK-Shops zu den derzeit größten Fachhändlern auf diesem Gebiet – man liest zwischen den Zeilen, dass die Marktführer mittlerweile über ein Viertel ihres Umsatzes (und der ist wahrlich nicht gering) mit Glas, Porzellan, Besteck und Accessoires machen.

Wenn wir die Zeit ein wenig zurückdrehen, dann wurde so ungefähr in den 1970er-Jahren von den Experten gepredigt, dass der Facheinzelhandel sich immer stärker spezialisieren müsse, um innerhalb des Marktes bestehen zu können. Wie man sieht, war auch das nur eine der vielen Fehldiagnosen, die sich Experten speziell in unserer Branche geleistet haben, denn wir erleben derzeit eine wahre Flut zurück zum „Gemischtwarenhandel“, speziell bei den großen Handelsketten, was der spezialisierte mittelständische Einzelhandel nicht mitmachen kann. Man ist am Markt dabei, ihm die Butter vom Brot zu stehlen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man auch das Brot haben will.
Tischausstattung wird nämlich noch immer als Investition gesehen, während Accessoires – und was man so unter Geschenkartikeln versteht – als „Spontankauf“ gelten. Aber diese Ansicht bröckelt vor allem bei den nachkommenden Generationen, die nicht nur sehr zu „Fast Food“ neigen, sondern daher eher auch zu „Fast Sets“ tendieren. Wer sich ein wenig umsieht, der merkt, dass auch die klassischen Marken in dieser Richtung einiges anbieten. Bedingt durch die neuen Techniken ist ja der Teller nicht nur mehr rund. Und diese Gefäße aller Art werden in den mitteleuropäischen Haushalten gerne à la Orient aufgedeckt. Aber der absolute Vorsprung im Wettbewerb blieb die Realisierung des alten Sprichworts „Wo Tauben sind, fliegenTauben zu“!
Und das nützte man immer stärker und mit immer größerem Erfolg. Warum? Natürlich um Geld zu machen, aber warum dann nicht nur im Stammgebiet? Dies vor allem um die ständige hohe Frequenz zu nutzen und natürlich auch die Ökonomie der Werbung. Die Kosten einer Kampagne konnte nun nicht nur auf die vielen Standorte, sondern auch noch auf die verschiedenen (oft neuen) Sparten umgelegt werden. Ganz zu schweigen vom rasanten Anstieg der Quadratmetererlöse.
In den Anfängen hatte man noch große Bedenken, dass das nicht vorhandene notwendige Fachwissen Nachteile im Kundenverkehr und im Marketing ergeben könnte. Mittlerweile ist das längst überholt. Man ersetzte schlicht und einfach das fehlende Fachwissen inklusive Beratung durch unschlagbare Preise. Und wenn man sich die Werbung z. B. des derzeit größten Lebensmitteldiskonters ansieht, dann erkennt man sehr rasch, dass diese Palette von Computern, Haushaltswaren, Bekleidung dazu noch Fernreisen uvm. keinerlei zusätzliches Wissen beim Personal voraussetzt. Die Imagewerbung mit der Kernaussage „Man hat es nicht notwendig, Rabattaktionen zu machen, denn man ist sicher ohnehin der Günstigste“ wird als Trommelfeuer im Fernsehen abgefeuert. Im wöchentlich erscheinenden Sortimentsprospekt spielen Lebensmittel ohnehin nur mehr eine Nebenrolle. Hier wird massiv für die zeitlich begrenzten Angebote geworben. Zeitlich deshalb, weil die Waren einmalig sind und nicht mehr nachgeliefert werden. Manchmal ist das Zeug schon nach zwei Tagen weg, und so mancher Konsument ist sauer, weil er zu spät gekommen ist.
Diese Methode, Massenprodukte zur Mangelware zu machen, ist seit Jahrzehnten bei vielen Unternehmen erfolgreich und hat eines gemeinsam – man macht das (fast) nie mit dem Stammsortiment, denn das ist ohnehin immer günstig und qualitativ hochwertig. Waren es am Anfang Sonderangebote, so entwickelte sich dieser Zweig des Marktes relativ rasch hin zu Produkten aus den normalen Sortimenten, teilweise auch zu Teilen von Markenwaren bis zu Eigenmarken, die man bei bekannten Herstellern anfertigen ließ.
Aber auch die Möglichkeit, namhafte Marken für das System „Nutze Flächen und Besucherströme“ zu nutzen, wurde gefunden.Wir haben schon einige derartige Aktionen mit berühmten Glasserien erlebt, und derzeit läuft gerade eine gut gestylte Kampagne für Messer aus Solingen. Dabei stehen das Produkt und die Marken ganz groß im Fokus der Werbung. Man lobt die Produkte als das non plus ultra, was schlussendlich auch dem Lieferanten einen mehr als außergewöhnlichen Schub im Bekanntheitsgrad bringt. Und dann kommen die Details, großzügig in den Prospekten erklärt und ausgelobt, gleich daneben der Preis, und etwas größer der Prozentsatz, den man sich jetzt ersparen kann. „Kann“ deshalb, weil man Einkaufspunkte sammeln muss, um diese Aktionsmodelle erwerben zu können. Voraussetzung für das Gelingen solcher Aktionen ist allerdings, dass der Hersteller weiterhin „Unverbindlich empfohlene Verkaufspreise“ vorgibt – sonst gäbe es ja keinen Vergleich und für den Konsumenten kein Erfolgserlebnis.
Offensichtlich ist das eine der in der Wirtschaft ziemlichen seltenen Win-Win -Situationen: Der Konsument bekommt Ware in einer außergewöhnlichen Qualität zu einem seinem Budget angepassten Preis, der Erzeuger erzielt einen zusätzlichen Umsatz zu durchaus akzeptablen Preisen (das ist keine Fiktion, da wird fast nie geschleudert), und das Handelsunternehmen macht tolle Absatzwerbung, die nichts kostet, da man an den Produkten ja nichts verdienen muss. Wir kennen Beispiele, wo solche und ähnliche Aktionen dem Hersteller bis zu 25 Prozent seiner Jahresstückzahlen brachte, ohne dass er deshalb in seinen normalen Vertriebskanälen allzu viel verlor.
Aber irgendwer muss doch verlieren? So ist es auch. Aus den einzelnen Warengruppen werden Umsätze abgesaugt, ohne dass es zeitliche Anzeichen gibt. Es funktioniert schleichend, so mancher Konsument verschiebt etwaige Anschaffungen, um abzuwarten, ob das Wunschprodukt nicht doch bei einer der wöchentlichen Aktionen auftaucht. Da sind vor allem Textilien aller Art gefährdet, aber auch Elektrokleingeräte und auch Accessoires und Ausstattungen für Tisch und Küche. Von den elektronischen Geräten ganz zu schweigen, nur dort haben sich die bedeutenden Marken nicht beeindrucken lassen, da muss der „Aktionshandel“ wohl oder übel auf Eigenmarken zurückgreifen. In unserer Branche haben der Möbelhandel, der Aktionshandel und auch der Versandhandel ohnehin bereits viele Fachgeschäfte verschwinden lassen. Teils, weil die traditionellen Lagen nicht mehr zu halten waren oder eben wegen des zu geringen Absatzes.
Das große Problem eines noch so kreativen und tüchtigen Einzelhändlers ist seine Individualität. Wenn er ein Inserat in der Tageszeitung schaltet, muss er die Kosten auf einen Laden mit wenigen Quadratmetern umlegen. Jede Kette würde dabei vor Lachen umfallen, denn die Controller in diesen Unternehmen rechnen beinhart aus, was ein Werbeanstoß kostet, denn keines der großen Handelsunternehmen betreibt Werbung, wenn sie nichts bringt. Die rechnen noch sehr viel härter, als es der knausrigste Chef eines kleinen Ladens tun würde …
Vielleicht hofft man noch immer, dass die Ketten nur so stark sind wie ihr schwächstes Glied, aber das testen ohnehin gerade die Giganten des Online-Versands aus. Vor denen haben momentan alle Angst. Dem kreativen Einzelkämpfer unserer Branche bleibt nur zu wünschen, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlägt und der Konsument wieder die Atmosphäre eines persönlichen Gesprächs zu schätzen weiß – und daher zurückkommt, als Ausgleich dafür, dass er sonst fast alles elektronisch einkauft.

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