Sonntag, 27. Januar 2019

Black X-MAS

Foto: Shmel | Adobe Stock

Nicht alles, was aus den USA kommt, führt auch zu Fortschritt. Die Ankurbelung der Wirtschaft fährt allerdings oft im Schlepptau amerikanischer Verkaufsstrategien. Der „Black Friday“, in Anlehnung an den einstigen Börsencrash, veranlasst die Läden, mit Preisnachlässen zu operieren, die jenseits von Gute und Böse liegen. Aber ­niemand hatte erwartet, dass daraus gleich der „Schwarze Advent“ entstehen würde …


Es lohnt sich zwar nicht, zurückzuschauen, aber die Entwicklung der Weihnachtssaison hat speziell in unserer Branche eine äußerst erfolgreiche Vergangenheit – und, wie es aussieht, kaum noch eine erwähnenswerte Zukunft. In den Zeiten der Hochkonjunktur machten die Großen der Branche bis zu 60 Prozent ihres Umsatzes im letzten Quartal des Jahres. Wen wundert es, dass nach dem Verschwinden der Hochzeitslisten jetzt auch dieser Motor der Branchenkonjunktur zunehmend ins Stottern kommt – und ausnahmsweise verwenden wir in diesem Zusammenhang nicht den Terminus „hausgemacht“. Zwischen den Titanen der Handelsszene tobt ein Kampf um jeden Konsumenten, um jeden offenen Verkaufstag und um die immer stärker werdende Gruppe der Onlineshopper und Konsumverweigerer.

Ein Indiz dafür ist, dass z. B. bei der letzten Umfrage Geld als Weihnachtsgeschenk hierzulande an der Spitze lag. Auch die erst vor kurzem veröffentlichten Umsatzziffern zeigen das, machen doch die Christkindlmärkte in Österreich einen höheren Umsatz als der im Blickpunkt stehende Online-Marktführer Amazon – und Christkindlmärkte sind nun wahrlich kein Ort von aufregenden Designneuheiten, technischen Wunderwerken oder modischen Kreationen. Sie bringen allerdings eine Unmenge nostalgisch angehauchter Besucher zu traditionellen Orten, die dabei auch eine Menge Geld im Land lassen: Es lebe der Tourismus! Aber trotz allem, die Weihnachtssaison hat eine völlig neue Facette bekommen, eine mehr als hitzige „Schnäppchenjagd“. Wenn sich dieses Jahr nach den Feiertagen z. B. zwei Wiener treffen, könnte das Gespräch so aussehen: „Was hast Du denn heuer deinen Lieben geschenkt?“ – „Also ich hab mir das gestern einmal kurz ausgerechnet und bin auf einen totalen Rabatt von 48 Prozent gekommen!“ – „Hut ab, das ist eine sehr noble Zahl, die Du da erbeutet hast. Bei mir war es allerdings noch mehr, ich habe gewartet und mit einer großen Sache von -70 Prozent zugeschlagen!“ – „Und haben sich alle gefreut?“ – „Nicht wirklich, es war doch eine geheime Überraschung!“ – „Und habt Ihr gut gespeist?“ – „Das war wirklich toll. Wir haben die diversen -25 Prozent-Marken gesammelt und sind dann gemeinsam mit mehreren Einkaufswagen eingeritten. Da haben wir dann zugeschlagen! Statt dem armseligen Spumante haben wir diesmal Champagner gekauft, Austern und Kaviar, die wir sonst links liegen lassen, in Mengen, und Lachs in allen Varianten. Dazu Delikatessen aller Art, wir wollten schließlich die Prozente nutzen!“ – „Und??“ – „Na ja, irgendwie haben wir dabei unser sonstiges Budget gewaltig überschritten!“
Erfunden? Wer den Grundtenor der diesjährigen Werbung verfolgt, der muss feststellen, dass Stil und Message eher zu den guten alten Zeiten des Inventurverkaufs passen würden, als die früher von Emotionen überquellenden Gestaltungen der Absatzwerbung aus dieser Zeit. Es ist das Zeitalter der Marketingstrategen eingetreten, die jenseits aller Gefühlslagen nur eine Wahrheit kennen: „Was steht unter dem Strich?“! Da haben Sentimentalitäten keinen Platz. Seit Jahren mahnt auch die Kirche, sich doch mit dem Beginn der Weihnachtswerbung mehr Zeit zu lassen, die agierenden Manager wurden dadurch aber anscheinend animiert, die Aktionen noch früher anzusetzen. Denn viele haben es durchgesetzt, mit z. B. den zentralen weihnachtlichen Produkten der Lebensmittelbranche, den Süßwaren und den Dekoprodukten, so früh wie möglich zu beginnen. So blockiert man die Mitbewerber, die vielleicht etwas später anfangen, und weicht den eventuell auftretenden Lieferproblemen in der hektischen Phase aus. In den 50er-Jahren wurden in den Wiener Einkaufsstraßen noch Gespräche der Ladenbesitzer untereinander gepflegt und der Beginn der Weihnachtsschaufenster (damals das Werbemittel Nr. 1) festgelegt. Mit dem Vordringen der Großvertriebsformen und Ketten war diese Methode Makulatur. Und so erleben wir, dass bereits Ende Oktober in den Supermärkten Teebäckerei inklusive der obligatorischen Vanillekipferln etc. auftauchen, teils zu mehr als erstaunlichen Preisen und mit dem Vermerk einer langen Haltbarkeit versehen. Nur die direkten Produkte, wie Weihnachtsmänner, Nikolos und Krampusse fehlen noch. Aber keine Bange, in den mehr als warmen Herbsttagen sind wir in Flipflops und T-Shirt auch schon an diesen Figuren vorbeimarschiert …
Aber kommen wir zum Thema: vom Black Friday zu Black Christmas. Seit November war zu bemerken, dass keine Woche verging, in der nicht eine der großen Handelsketten mit ganz besonderen Rabatten aufwartete. Die Lebensmittelketten ließen während der ganzen Adventzeit Karten mit Rabattmarken mit -25 Prozent in die Tageszeitungen einkleben und annoncierten darüber hinaus auch so genannte „Themenrabatte“. Da waren es einmal Putzmittel, einmal Tiefkühlkost und Getränke, die ebenfalls an bestimmten Tagen um ein Viertel günstiger angeboten wurden. Böse Zungen behaupten, dass das alles nur Lockangebote wären, um die Kunden in die Läden zu holen und dabei auch schon die Weihnachtsware zu lancieren. Jedenfalls gab es kein große Kette, die nicht mit Aktionen lockte, die manchmal schon irrwitzig erschienen. Mitten drin natürlich auch der „Black Friday“, wo sich diesmal ganz nach amerikanischen Vorbild schon in den frühen Morgenstunden Schlangen vor den Eingängen der Geschäfte bildeten. Ohne dabei zu bedenken, dass es immer auch einen österreichischen Kompromiss gibt: In Wien wurde aus dem Black Friday ein „Black Weekend“, das mit Aviso in den Geschäften meist auch noch auf Montag/Dienstag ausgeweitet wurde. In den Einkaufscentren beteiligten sich einige Läden ebenfalls an diesen Aktivitäten – sehr zum Leidwesen der Vermieter nicht alle, was eine Werbung für das Center damit ausschloss. Warum wohl? Und hier zeigte sich das Problem ganz deutlich, denn alle diese Aktionen haben nur eine Zielsetzung: die Konsumenten von den mittelständischen Individual­läden, die dabei nicht mitkönnen, und vom Onlineshopping wegzuhalten. Es herrscht der totale Wettbewerb um den Konsumenten, der noch nicht seufzend auf eine Geschenkeauswahl verzichtet und das Weihnachtsgeschenk Nr. 1 plant: Geld im Kuvert. Die meisten Handelsunternehmen sahen die Gefahr, dass damit die Umsetzung des Einkaufs auf das nächste Jahr verschoben werden könnte, und versuchten vorerst man mit den verrücktesten Rabattsätzen ihre Lager zu entlasten. Unsere Branche kommt dabei besonders zum Handkuss, denn da mittlerweile der Möbelhandel zu den größten GPK-Fachgeschäften zählt, war dort in bestimmten Läden der Teufel los. Markenporzellan zu absoluten Schleuderpreisen, Besteck-Kassetten zu oft halben Marktpreisen und Gläsersets, auch von renommierten Glashütten, zu oft unglaublichen Preisen. Kommen Ihnen die Tränen? Die „schönen Dinge des Lebens“, wie die Produkte unserer Branche in der guten alten Zeit genannt wurden, werden verschleudert. „Oh nein!“, sagen da die großen Handelsketten, wir sorgen nur dafür, dass sich das auch die breite Masse leisten kann. Und das Dumme dabei ist, dass diese „Billigsdorfer“ dabei mehr für eine Tischkultur 2.0 tun als alle Lifestyle-Magazine zusammen. Denn über das Zauberwort „Rabatt“ beschäftigen sich auch Schichten mit der Tischausstattung, die sonst zu den Tischkulturminimalisten zählen. Dabei ist eben Weihnachten besonders gut geeignet, das erwartete gute Essen einmal auch aus optischer Sicht zu betrachten. Und was könnte dabei mehr helfen, als das Argument, dass diesmal der solcherart angepriesene Teller eine Ersparnis von, sagen wir einmal,
63 Prozent bringt? Und hier erhebt sich die Frage „Was wäre, wenn …?“ Wenn es die „unverbindlich empfohlenen Verkaufspreise“ nicht gäbe? Woher kämen dann die zuvor angesprochenen 63 Prozent? Jetzt hat beispielsweise der Möbelhandel eine neue Bezeichnung eingeführt: die „Herstellerlistenpreise“, die wahrscheinlich ohnehin keiner kennt, aber die müssen jetzt als „Preisalibi“ für etwaige Rabattansagen herhalten. Der auch ein wenig in Gewohnheiten verhaftete Konsument bekommt immer nur bei der Prozentzahl glitzernde Augen, kaum aber bei absoluten Summen. Den Vogel schoss dabei in den letzten Tagen vor Weihnachten ein Möbelhaus ab, das mit einem Preisnachlass von 85 Prozent warb. Damit näherte es sich dem Idealfall von Tageszeitungen, die derzeit bei einem Preisnachlass von 100 Prozent stehen …
In dieser Weihnachtssaison beteiligte sich daher auch so mancher Onlinegigant an der allgemeinen Preisschlacht mit Weihnachtsstimmung. Auch diese Sparte agierte mit Aktionstagen, mit Preiabschlagwochen, mit terminabhängigen Schnäppchen und wie man sonst die Preisreduktionen marketinggerecht bezeichnen könnte. Die gesamte Handelsszene arbeitet mit immer neuen Prozentsätzen, Aktionstagen und -stunden usw. Absatzwerbung mutiert zur Propaganda. Für die Weihnachtsstimmung haben die Einkaufsstraßen mit aufwendigem Lichterzauber, die Christkindlmärkte mit entsprechender Tradition und Rundfunk und Fernsehen mit animierendem Weihnachtsprogramm zu sorgen. Traurig dabei ist aber, dass der Konsument immer mehr diesen Sirenenklängen erliegt und dabei Qualität, Design und emotionaler Wert der Produkte verloren gehen. Verloren geht dabei auch die Glaubwürdigkeit der Hersteller, die sich immer stärker im Würgegriff der Handelsketten befinden. Aber wie egal das ist, zeigt, dass praktisch mit dem Entzünden der Kerzen am Christbaum der echte und wahre Ausverkauf begann. Na dann – Waidmannsheil!
PS: Im Zug der Recherchen zu diesem Artikel bin ich über einen traumhaften militärgrünen Parka gestolpert. Warm gefüttert, mit Pelzkapuze und wunderbarem Schnitt habe ich mir diesen um
EUR 49,99 gegönnt, aber wirklich nicht geschaut, wieviel Prozent ich mir erspart habe!

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