Sonntag, 24. März 2019

Denn Sie wissen, was sie tun …

Foto: Roy Pedersen | Adobe Stock

In den Vorstädten stehen immer mehr Läden leer, die Innenstädte werden immer stärker zu „Live Museen“ und der mittelständische, der traditionelle stationäre Familienbetrieb ist am Aussterben. Man könnte das als normale Entwicklung am Markt sehen, aber die Strategien der großen globalen Handelsketten haben diese Entwicklung entscheidend und bewusst beeinflusst. Und jetzt steigt ein zusätzlicher Player in den Ring – der Onlinehandel. Er wird diesen Trend nur noch verstärken.


Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte in einem kürzlich veröffentlichten Brief den deutschen Bundesinnenminister auf, Sofortmaßnahmen zur Rettung vitaler Innenstädte zu ergreifen.
Hintergrund ist das ständige Abnehmen von Verkaufsflächen und die Forderung, dass die Politik Maßnahmen zur Stärkung des innerstädtischen Handels unternehmen sollte. Auszüge aus dem Bericht auf der HDE-Website: „Viele Innenstädte in Deutschland sind in höchster Not. Früher attraktive und vitale Zentren verlieren an Zugkraft, vielerorts finden beunruhigend wenige Menschen den Weg in die Fußgängerzonen und Ladenzeilen“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. In der Folge sorgen Leerstände für eine Verschlechterung der Versorgungssituation in vielen Kommunen.

Für viele Bürger sei der Verlust des lebendigen Stadtzentrums auch ein Verlust ihrer Heimat. „Es müssen dringend Sofortmaßnahmen ergriffen werden, um diese Entwicklung abzufedern. Die Politik darf diesem Erosions-Prozess nicht länger nur zuschauen“, so Genth weiter. Dabei gehe es beispielsweise darum, einen guten Funktions- und Branchenmix zu fördern. Für eine funktionierende Innenstadt müsse die Mischung zwischen Handel und Gastronomie, aber auch dem produzierenden Gewerbe stimmen. Darüber hinaus sei für ein positives Einkaufserlebnis eine stimmige Baukultur mit attraktiven Gebäuden und angenehmer Atmosphäre entscheidend.
Die Händler setzen auf den Ausbau digitaler Serviceleistungen. Um den Kunden jedoch die Mehrwerte der Digitalisierung anbieten zu können, brauche es eine funktionierende digitale städtische Infrastruktur. Der Ausbau öffentlicher WLANs sowie eines schnellen Internets müsse deshalb noch stärkere Priorität bekommen. Gleichzeitig warnt Genth vor Fahrverboten: „Der Handel ist davon gleich in doppelter Weise betroffen, denn Fahrverbote behindern sowohl den Lieferverkehr als auch den Kundenverkehr.“ Die Handelsunternehmen erwarteten in der Folge nicht nur massive Umsatzeinbußen, sondern weitere Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Online-Handel sowie eine Wiedererstarkung der städtebaulich und raumordnerisch unerwünschten Grünen Wiese.
Aber auch in Österreich schrillen die Alarmglocken. Die Stadtverantwortlichen haben sich ständig mit den Problemen leerstehender Geschäfte zu befassen und das nicht nur in den Seitengassen. Mittlerweile stehen auch z.B. in Wien in einst attraktiven Einkaufsstraßen und Fußgängerzonen viele Läden leer. Und das seit langer Zeit! Aber niemand hat bisher ein Rezept gefunden, dieser Entwicklung gegenzusteuern. Den Experten ist klar, ohne großen finanziellen Aufwand wäre das ohnehin nicht möglich. In Statements in der Tageszeitung „Kurier“ kann man das deutlich herauslesen. So meint Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbandes: „Förderungen helfen nur kurzfristig, es müssen die Rahmenbedingungen passen, die Infrastruktur vor Ort muss gewährleistet sein. Aber unterm Strich ist die Verkaufsfläche in Österreich binnen zehn Jahren um 20 Prozent geschrumpft“. Die Experten des Beratungsunternehmens „Standort+Markt“, die gerade österreichische Einkaufsstraßen analysiert haben. werden da schon etwas deutlicher. „Frisch gestrichene Parkbänke und ein paar Pop-up-Stores werden nicht helfen. Es muss richtig Geld in die Hand genommen werden – ohne Moos nichts los“, meint Geschäftsführer Hannes Lindner. Unter den passenden Rahmenbedingungen verstehen die Berater genügend Gratisparkplätze in den Straßen und vor allem eine Kommunikationsoffensive der Städte mit den Betroffenen, wo eben Eigentümer leerstehender Geschäfte mit potenziellen Mietern zusammen gebracht werden. „Da muss man Klinken putzen,  in Wels hatte das schon recht gut funktioniert.“
Wenn man Wien betrachtet, dann gibt es dieses Problem in der City nicht. Das Thema Luxusläden scheint zwar ausgereizt zu ein, aber sonst ist die Wiener Innenstadt ausgebucht (derzeit 0,8 Prozent Leerstände, was auch daran liegt, dass dort leer gewordene Läden interimistisch mit Souvenir- und Schnäppchenläden auf Zeit gefüllt werden). Und wer sich doch hier ansiedeln will, der muss schon sehr, sehr tief in die Tasche greifen, EUR 200 pro Quadratmeter plus einer Vermittlungsgebühr von einer Million sind durchaus normal. Dass bei dieser Konstellation die GPK-Branche in diesen Lagen mehr als unterpräsentiert ist, erscheint logisch, denn solche Mieten und Nebenkosten können sich derzeit wohl nur die großen Handelsketten leisten, wobei auch der Textilhandel bei Expansionen auf der Bremse steht. Letzte Untersuchungen zeigen, dass bereits 22 Prozent des Textilhandelsumsatzes in den Webshops gemacht werden. Wieviel Umsatz den Städten durch den Ausbau der Einkaufszentren in der Vergangenheit verloren gegangen ist, steht allerdings in keiner Statistik. Der Textilhandel nimmt derzeit nur mehr 31 Prozent (2014 noch 34 Prozent) der gesamten Handelsflächen ein – Tendenz weiter sinkend.
Begonnen hat das Match Städte gegen Grüne Wiese schon vor vielen Jahren. Große Helfer bei dieser negativen Entwicklung waren die Gemeinden im Speckgürtel rund um die Städte. Was haben sich die bemüht, um Einkaufszentren in ihre Gemeindegebiete zu bekommen, was wurde da angeboten und versprochen. Die Betreiber erkannten relativ rasch, dass man mehr ehrgeizige Bürgermeister brauchte als sämtliche Interessensvertreter. Am Beispiel des ersten großen Centers in der Umgebung Wiens lässt sich das deutlich ablesen. Die Strategie gab z.B. der schwedische Marktführer bei Möbeln vor – man suchte daher Standorte, die ein Einzugsgebiet von 2,5 Millionen in einem Radius von maximal 40 km bieten konnten. Wobei man in den Anfängen gar nicht so sehr auf eine günstige verkehrsmäßige Anbindung versessen war. Es hagelt so lange Proteste, bis die Politik reagierte und dem neuen Steuerzahler eine Autobahnanbindung und Abfahrt baute. Der Staat, die Kommune – alle haben mit viel Geld und Boni zu dem Zustand beigetragen, denn jetzt die diversen Stadtväter ausbaden müssen. Und dabei soll wieder viel Geld in die Hand genommen werden, um die Folgen der Einkaufstempel auf die Städte auszugleichen. Ein utopisches Vorhaben!
Wir haben vor rund zehn Jahre berichtet, wie sich europäische Stadtplaner trafen, um dieses schon damals erkennbare Problem in den Griff zu bekommen. Hoffnungslos! Man hat mit viel Entgegenkommen auch im städtischen Bereich derartige, aber natürlich kleinere Center errichtet, die heute meist bestenfalls ein mehr als karges Leben fristen. Man hat in Wien versucht, für die Einkaufsstraßen, für den Stadteinkauf zu werben – wer es überhaupt bemerkt hat, der weiß jetzt zumindest, wie man es nicht machen sollte.
Für die Städte, aber auch für die Immobilienbranche ist nur mehr die „Altstadt“ ertragreich, einige wenige Straßen wie z.B. die Mariahilfer Straße funktionieren und beleben jetzt auch die Seitengassen mit mittelständischen Betrieben. Aber wer in die Außenbezirke wie Floridsdorf kommt, der kann sich an den Fingern ausrechnen, wie lange die noch existierenden Läden bestehen können. Auch wenn man die Leerstände mit Arztpraxen, Realitätenbüros, Bestattungsunternehmen oder 1-EURO-Läden auffüllt – Zukunft sieht anders aus. Unsere Branche ist abgewandert, sie findet jetzt hauptsächlich im Möbelhandel, im Versandhandel und als Prämie und Lockpreis für den Lebensmittelhandel statt. Einige Läden halten in B-Lagen die Fahne hoch – sie sind die wahren Helden dieser Geschichte.
Die Einkaufszentren sind weltweit in einer Krise. In den USA sind sie zu Markt-Ruinen geworden, die irgendwie zu kulturellen Zwecken genützt werden, jetzt baut man dort Einkaufsstädte. Was man auch hierzulande versucht und sich in Deutschland Kleinstädte mit historischem Kern überlegen – eine Komplett-Einkaufs-Mall zu werden. Alles Entwicklungen, die den historisch gewachsenen Städten nicht helfen, denn die Nahversorgung ist durch die globalen Handelsketten gesichert und die saugen mit gigantischen Nebensortimenten weitere Umsätze ab. Wer von uns hat noch nicht beim Lebensmitteldiscounter Elektrogeräte, Geschirr, Jeans, Reisen und Telefonkarten gekauft. Auf diese Weise ist es selbstverständlich geworden, die Struktur unserer Städte zu zerstören.
Aber jetzt geht es allen an den Kragen. Die Generation „Nerd“ kauft im Internet und zieht auch konservative, bodenständige Konsumenten mit. Mit EUR 7,2 Mrd. Einkaufsvolumen im Internet hat der österreichische Konsument 2018 einen neuen Rekord aufgestellt, das waren 228 Millionen Pakete, die da zugestellt wurden (übrigens von der Post, die ständig Standorte zusperrt), von 4,4 Millionen Konsumenten bestellt (Quelle: E-Commerce Studie des Handelsverbandes). Und wieder fließen Verkaufsflächen und Arbeitsplätze ab. Ob sich das die Leute so vorgestellt haben, die dem Wildwuchs an den Stadtgrenzen Vorschub geleistet haben? Schließlich ist kein Ort im Speckgürtel für Stadtplanung verantwortlich. Und die Infrastruktur müssen schließlich alle zahlen. Die Handelstrategen haben Recht behalten und wussten eben genau, was sie taten …

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