Dienstag, 4. Juni 2019

Tisch Couture?

Foto: Adobe Stock | Elina Leonova

Mit dem Begriff „Mode“ steht die gesamte Branche seit ­Anbeginn des modernen Marketings auf Kriegsfuß. Puristen empfinden es als Beleidigung, wenn eine besonders moderne Form – egal ob Porzellan, Glas oder Besteck –, als „modisch“ bezeichnet wird. Und es werden zwar gerne Grundsätze wie „form follows fiction“ ins Treffen geführt, aber kaum ein ­Medium hat jemals derartige Produkte auf den Modeseiten vorgestellt. Daran haben auch die zahlreichen und äußerst prominenten ModeschöpferInnen, die in unserer Branche ­tätig ­waren, kaum etwas entscheidend ändern können …


Über allen Veränderungen steht das ungeschriebene Gebot des Marketings: „Wenn Du den Leuten etwas Neues verkaufen willst, musst Du ihnen zuerst die Freude am Alten nehmen“. Damit können wir nun beginnen, darüber zu sinnieren, was Mode und Tischkultur trennt oder verbindet – die kreativen Protagonisten waren und sind es jedenfalls nicht. Was Mode wirklich ist, das wird intern fast immer heftigst diskutiert. Die einfache Bezeichnung fürs Kreuzworträtsel lautet „Zeitgeschmack“, was aber auch nicht wirklich weiterhilft. Soziologen sehen in der Mode ein gesellschaftliches Phänomen und damit eine kurzfristige Äußerung des Zeitgeistes. Und mit den dabei geschaffenen Begriffen „in“ und „out“ trifft man den Kern noch etwas besser. Wer dazugehören will (was immer dazu bedeuten soll), muss mit der Mode gehen um „in“ zu sein. Und wer will das nicht?

Diese These lässt sich auch mit Beispielen belegen. Der natürliche Feind der Mode ist der „Klassiker“, das zeitlose Produkt mit ununterbrochener Ausstrahlung des „In Gefühls“. Als also die Jeans zum Klassiker wurden, haben sich die Modeschöpfer ihrer bemächtigt und unter Einbeziehung verschiedener Jugendtrends (auch der Punks) die Jeans modisch gemacht. Mit Stickerei, einmal eng und dann wieder weit, mit aufgestreckten Stulpen und vor allem mit den künstlichen Rissen und verwaschenen Farben. Ganz zu schweigen von der Variante mit dem fast bis zu den Knien herabgelassenen Hosenboden – alles geeignet, den Leuten die Freude an den Hosen zu nehmen, die bereits im Schrank hingen – Mode als ständiger Antrieb, Neues zu kaufen, um „in“ sein zu können. Daran arbeiten Modeschöpfer, Modekonzerne und Millionen von JournalistInnen weltweit, um die Message, was denn „in“ ist, zu verbreiten. Trends wie Jeans, Turnschuhe, Uniformjacken werden einfach ins Styling aufgenommen und modisch adaptiert. Dabei kommen durchaus auch Produzenten in Bedrängnis, denn der Minirock hat die Stoffhersteller sicher nicht erfreut, und die Sockenfabrikanten sprangen auch nicht vor Vergnügen, als man die Schuhe barfuß anzuziehen begann. Aber es soll ja immer wieder Pendelbewegungen geben, bei denen solche Defizite ausgeglichen werden, siehe die derzeitige äußerst farbenfrohe Sockenmode …
Was hauptsächlich die Bekleidungs-, Schuh- und Accessoiresindustrie betrifft, hat natürlich andere Branchen neidisch werden lassen, und so haben viele versucht, an der Mode und deren Saisonen mit zu naschen. Das hat selbstverständlich auch unsere Branche versucht bzw. versucht sie’s noch immer, aber was nie erreicht wurde, ist der in der Bekleidung übliche stetige Wechsel. Bei Messen haben Insider oft darüber diskutiert, wie man das in der Autoindustrie übliche Umsteigen auch in die Tischkultur-Branche einführen könnte – also jugendlich mit der „Ente“ zu beginnen und mit den ersten Berufserfolgen auf einen VW und etwas später auf Mercedes umzusteigen. Auf unsere Branche umgelegt: mit billiger Weißware und Chrombesteck zu beginnen, aber das Ziel Manufakturporzellan und Silberbesteck nie aus den Augen zu verlieren …
Wie man sieht, dreht es sich bei Trends und Mode bei Tisch meist um das Kernstück einer Tafel – das Porzellan. Probleme im Absatz hatten seinerzeit aber alle. Die Kapazitäten waren gestiegen, der Import von Billigprodukten aus dem Fernen Osten wurde immer mehr, und die Nachkriegszeit mit der enormen Nachfrage war vorbei. Auch lief die Designwelle immer langsamer, der Prozentsatz der Konsumenten, die ihre Tischausstattung aus zeitgenössischem Design auswählte, lag im einstelligen Bereich. Man war zwar mit den Kreationen und großen Designernamen zu 100 Prozent in den Gazetten, trotzdem schwärmten auch junge Leute von der höfischen Herrlichkeit, die sich so einfach mittels den angebotenen Gedecken herstellen ließ. Bleiben wir aber beim Porzellan, denn dort waren die Bemühungen den Konsumenten für Veränderungen zu gewinnen am stärksten (Ja, ich weiß …, Besteckfabriken verschwanden, und die Glasindustrie führte einen hoffnungslosen Kampf mit sich selbst), und der Wille, sich in einem modernen Markt zu behaupten am größten. Findige Marketingexperten, die neu in die traditionsreiche Branche kamen, fanden Mode als Motor am besten. Design war zwar nicht passé, aber einmal auf Eis gelegt.
Und so kamen sie in die Branche, Namen, die sogar die staunende Händlerschar kannte: Pierre Cardin entwarf für Rosenthal, ebenso Versace, bei V&B waren es Joop für Heinrich und die elegante Paloma Picasso, Chanel, Yves Saint Laurent, Chloe mit Lagerfeld und noch einige mehr, verliehen für kurze Zeit der Branche so etwas wie modisches Flair in der Öffentlichkeit. Vivienne Westwood arbeitete für Wedgwood, Christian Croix für Nymphenburg, Namen die man sonst nur in anderem Zusammenhang in den Medien fand. Herz, was willst Du mehr! Legendär auch die während der Frankfurter Messe von Hutschenreuther veranstalteten Modeschauen mit Leonard Paris, bei der vor geladenen Gästen Kleider und die neuen von Leonard gestalteten Kollektionen vorgestellt wurden. Denn eines erreichte man für einen längeren Zeitraum – Präsenz auf den Lifestyleseiten der Hochglanzmagazine. Für die gesamte Branche schon ein Motivationsschub, aber beim Konsumenten?
Es ist nirgendwo statistisch erfasst, und die Studien der Gemeinschaftswerbungen sind mit mehr als Vorsicht zu genießen. Für Leute mit gutem Gedächtnis haben sie damals alle rosige Zeiten versprochen, aber was jetzt? Auch die Vorhersagen, dass zeitgenössisches Design die Leute förmlich dazu zwingen würde, ihre Geschirrschränke zu leeren, war eine Schimäre. Auch die Wende zur Mode brachte kaum diesen Effekt. Es gab natürlich kurzfristig verdiente Erfolge am Markt , aber dass die Konsumenten wie bei der Bekleidung wechseln würden, weil ihr Geschirr nicht mehr „in“ ist, war leider auch nur ein frommer Wunsch eifriger Marketinggurus. Der natürliche Feind aller Veränderungsbestrebungen ist und bleibt in allen Branchen der Klassiker mit seiner zeitlosen Ausstrahlung. Beim Porzellan möchten wir gerne drei Beispiele erwähnen: das Zwiebelmuster, Uni Weiß und für Österreich Gmundner Grüngeflammt. Man glaubt es kaum, aber wenn Sie sich im Bekanntenkreis umhören, werden sie in jedem Fall irgendwann über einen dieser drei Begriffe stolpern.
Das missverstandene Zwiebelmuster gilt in vielen Schichten als der Inbegriff eines Tafelgeschirrs. Die absolute Porzellanfarbe Kobalt und das „folkloristische“ Dekor strahlen so etwas wie Behaglichkeit und Omas Hausmannskost aus.
Weißes Porzellan ist für viele der Inbegriff des idealen Geschirrs bei Tisch. Speziell große Köche betonen immer wieder, dass sie die „Gedeckaltäre“ bei Tisch ablehnen, und wenn sie meinen: „… das Auge isst mit …“, dann sind damit schön angerichtete Menüs gemeint. Und das geht am besten auf einem undekoriertem Teller.
Beim Gmunder Klassiker spielen die Medien eine große Rolle. Obwohl kein Porzellan und von rustikaler Form, kommt man bei den Gerichten der österreichischen Küche nicht am idealen Geschirr dafür vorbei – „Grüngeflammt“. Das werden sie in jedem Kochbuch finden, das ist in jedem Heurigenlokal das absolute „Muss“ fürs Buffet, und in der Spargelzeit sind alle Wochenendausgaben voll mit Rezepten und eben diesem Original. Selbst Skeptiker von Tischkultur geben zu, dass ihnen beim Anblick eines Gmundner Tellers mit diesem Dekor unwillkürlich der Geruch von Geselchtem, Knödeln und Sauerkraut in der Nase kitzelt.
Alle diese Klassiker entstanden durch Traditionen, familiäre Erinnerungen und ein wenig auch aus Nostalgie. Und immer wieder wurde auch von der Industrie versucht, diese Empfindungen in neue Produkte einfließen zu lassen – so entstanden auch die Markenimages. Aber der Konsument mit diesen Assoziationen stirbt langsam aus. Wer sein Bier aus der Flasche trinkt, ist schwer zu einem Glas zu verführen. Fragen Sie Red Bull – die haben versucht, ein eigenes Glas zu entwickeln. Das gilt auch für Burger, der muss mit der Hand gegessen werden usw. Wie sie merken, sind wir von der Mode als Umsatzmotor zur Gretchenfrage gekommen: „ Warum das Getue um Tischkultur?“ Um Veränderungen zu erreichen, muss man sich die Frage stellen, was das Produkt zur Verbesserung der „Lebensqualität“ beitragen kann. Und wie sage ich das dem Konsumenten , sodass er es auch akzeptiert. Solange diese Frage nicht geklärt ist, wird man sich mit Einzelerfolgen zufrieden geben müssen und den großen Playern mit Preis, Bequemlichkeit und völlig ohne gestalterische und qualitative Argumenten das Feld überlassen. Denn der Konsument mit dem Grundsatz: „… na, das tut es doch auch!“ ist beim Geschirreinkauf leider schon zur Mehrheit geworden.

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