Donnerstag, 8. August 2019

Heute Design, morgen Antiquität?

Foto: Rudy und Peter Skitterians | Pixabay 

Ein absoluter Renner im Fernsehen sind momentan Sendungen über den Verkauf von alten Gegenständen durch Private an professionelle Händler. Mit dabei sindSchätzmeister und urige Moderatoren, aber leider auch die Erkenntnis, dass auch hier Produkte für die Tafel derzeit anscheinend nicht besonders gefragt sind. Selbst wenn sie den Tatbestand, eine Antiquität zu sein, durchaus erfüllen würden.


Eigentlich meinte man mit dem Begriff Antiquitäten (vom lateinischen „antiquitas“, sprich Altertum) Zeugnisse der Kulturgeschichte, Gegenstände als Denkmäler aus dem Altertum. Heute werden damit Gegenstände meist kunsthandwerklicher Art bezeichnet, die je nach Stil zumindest 100 Jahre sein sollten. Sollte also jemand dazu Lust haben, dann kann er nachschauen, was uns 1919 so an Raritäten zu bieten gehabt hätte. Lassen wir das, ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde sicher keine Stilrichtung geboren, außer das Lindern von Not und Elend. Obwohl auch die Renaissance oder das Empire durchaus kriegerische Zeiten hatten, aber da waren es eben die Fürstenhöfe, die sich es sich trotz allem gut gehen ­ließen – und „gut“ hieß, sich mit schönen (meist auch wertvollen) Gegenständen zu um­geben.

Entschuldigung, wir schweifen ab. Es geht hier eigentlich um das Jetzt! Die oben erwähnten TV-Shows boomen derart, dass sich langsam jeder Sender, der etwas auf sich hält, eine derartige Schau zulegt. Nun sind das aber keine wirklich fachlich einwandfreien Antiquitätenauktionen, sondern eine volkstümliche Schau darüber, was die Leute daheim so herumliegen haben und was der Handel damit anfangen kann. Wenn man so will, ein telegener Flohmarkt mit Einzelschicksalen. Und man kann schon erkennen, welche Art von Gegenständen gefragt sind – und welche nicht. Wenn Sie ein paar Sendungen verfolgt haben, werden Sie traurig erkennen müssen: unsere Branche, also alles für die Tafel und auch Nippes, ist nicht sehr gefragt, einmal optimistisch ausgedrückt. Falls z. B,. wie jüngst geschehen, ein Meissner Jubiläumskrug auftaucht, dann ist die Bewertung der Gutachter fast schön beschämend. Wenn man aus heutiger Sicht die Stunden für die Handmalerei mit der Arbeitsstunde eine Installateurs gleichsetzt, dann kommt man schon sehr ins Grübeln.
Es ist der reale Wert, den alle diese Gegenstände in der Vergangenheit gehabt haben und die diese Dinge rar und selten gemacht haben. Denn wer konnte es sich schon leisten, ein derartiges Manu­fakturservice zu haben und es auch vielleicht noch zu benutzen? Der Adel gab den Takt vor und wurde später vom Bürgertum imitiert. Beim Silberbesteck war es üblich, dass sich die adeligen Familien eigenen Modelle entwickeln ließen, die dann auf ewig nur für ihre Familien gefertigt werden sollten. Die Gravur von Initialen galt als Ersatz für ärmere Schichten, aber das ganze Modell war wie ein Familienwappen geschützt. In den Archiven von überlebenden Besteck­herstellern befinden sich so manche historischen Belege. Und z. B. bei Porzellan ist belegt, dass die Böttcher Erfindung so etwas wie heute die Bitcoins war, eine Kryptowährung. Nach der damaligen Umrechnung müsste daher eine Kaffeetasse mit Untertasse nach heutigem Goldpreis rund EUR  8.000,– kosten, denn es war ja im Sinne König Augusts, dass Goldpreis zu Porzellanpreis 1:1 berechnet wurde. So ist es auch verständlich, dass Böttcher eher eingesperrt als gefeiert wurde, aber das wäre jetzt eine andere Geschichte.
Es ist also klar, dass man auch heute, mehrheitlich gesehen, unter Antiquitäten Dinge versteht, die aus Zeiten stammen, in denen Feudalismus und höfisches Gepräge vorherrschten. Als diese Staatsformen verschwanden, verschwanden auch die  für den Adel arbeitenden Kunsthandwerker.Und mit der industriellen Revolution auch die Exklusivität von Produkten. Die Zeit der Nachahmung war gekommen, und mit diesem Trend entstand auch zeitgemäßes Design. Genau genommen war es der Wunsch, allen Bevölkerungsschichten ein Leben mit Gebrauchsgegenständen zu ermöglichen, die ästhetisch und funktionell Lebensqualität brachten. Und die mussten erschwinglich sein, ein wesentlicher Punkt, der auch heute noch Gültigkeit hat.
Der Antiquitätenhandel hat allerdings derzeit wieder Hochkonjunktur. Die niedrigen Bankzinsen für Guthaben haben eine wahre Flucht in Sachwerte ausgelöst. An der Spitze liegt dabei natürlich die bildende Kunst, wo alte Meister und deren Epigonen Rekordpreise bei Auktionen erzielen, aber auch große Namen der jüngeren Vergangenheit haben so manchen Erben reich gemacht. Unsere Branche steht da etwas im Abseits, obwohl noch vor wenigen Jahren durchaus gute Preise erzielt werden konnten. Es gab eine Phase, in der vor allem Glas gut verkäuflich war. Freundschaftsbecher, speziell aus der Kothgasser-Ära, wurden ordentlich nachgefragt. Auch am figuralen und Gefäß-Sektor gab es eine ganze Reihe von Jahren, in denen bei Auktionen noch hohe Endpreise erzielt werden konnten. Die Hotspots waren dabei Produkte von Lötz, Goldscheider oder aus den Wiener Werkstätten, sogar aus den 20/30er Jahren. Paradox war dabei allerdings, dass z. B. Figuren der Wiener Werkstätten bei Auktionen hoch gehandelt wurden, während Produkte, die die Nachfolgefirma der Wiener Werkstätten aus denselben Gussformen auf den Markt brachte, zur selben Zeit nur mehr zu Dumpingpreisen verkäuflich waren. Auch ein Nachfahre von Goldscheider musste erkennen, dass das ganze Erbe an Modellen und Gussformen nichts nützte, um den alten Betrieb wieder voll zur Blüte zu führen. Woran lag es, dass das gleiche Produkt aus der Jahrhundertwende bei Auktionen Erfolg hatte und das neu produzierte nicht einmal größeres Interesse hervorrief?
Wir haben da eine Theorie: In unserer Branche sind die sogenannten Antiquitäten, also Produkte mit einer 100-jährigen Vergangenheit, in vielen Fällen noch immer Teil des aktuellen Sortiments. Wir haben auch versucht, das anlässlich einer Messe für Tischausstattung zu belegen. Der Veranstalter bat uns, einen Eyecatcher ins Zentrum zu stellen, und unsere Idee dafür war, eine Tafel mit den unterschiedlichsten Stilrichtungen zu decken. Wir liehen  aus dem Bundesmobliendepot Stühle der jeweiligen Stilrichtung und bekamen viele Produkte der unterschiedlichsten Stilrichtungen von den Herstellern zur Verfügung gestellt. Darüber haben wir dann das Schild platziert: „Eine Branche, in der noch alle Stile lebendig sind!“. Eigentlich war das eine negative Aussage für modernes Marketing – wir dachten damals anders. Aber es ist sicher wahr, dass viele Produkte, die noch immer sehr gerne erworben werden, ein lange und erfolgreiche Geschichte haben. Denken Sie nur an Gmundens „Grün geflammt“, oder ans „Zwiebelmuster“ verschiedener Hersteller, auch bei Besteck ist es nicht anders – eine der erfolgreichsten Serien aus österreichischer Produktion ist ein Chippendale-Modell. Diese Beispiele ließen sich auch beim Glas fortsetzen. Nicht hingegen bei den Interieurs oder bei Figuren, da ist weder bei Antiquitäten, noch aus zeitgenössischer Sicht eine Konjunktur zu bemerken.
Die Frage, ob wir daran glauben, dass das Design des Jahres 2019 im Jahr 2119 als Antiquität gehandelt werden wird, wagen auch wir, trotz großen Selbstbewusstseins, nicht zu beantworten. Und darüber, wie man einen Stil nennen könnte, den etwa Philippe Starcks Zitronenpresse verkörpert, sind wir uns selbst intern seit Jahren uneinig …

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