Montag, 14. Oktober 2019

Qualität? Wos is des?

Foto: Chinesische Porzellanmalerei | Pixabay 

Wenn man sich die vielen Angebote in den Publikumsmedien mit Produkten aus dem GPK-Bereich ansieht, dann muss man völlig erstaunt feststellen, dass in fast allen Fällen der Preis die Werbeaussage ist. Nur ganz selten tauchen in Hochglanzmagazinen Neuheiten auf, die meist mit großen Designernamen, einem ausgefallenen Styling u. Ä. werben. Qualitätsmerkmale bzw. ­Unter­schiede zu den Mitbewerbern scheint es dabei nicht zu geben. Oder ist es vielleicht zu schwierig ­geworden, ­Qualitätsmerkmale zu kommunizieren?

Es war in einer BBC-Verfilmung der „Father Brown“ Krimis, als Pfarrer Brown einen entscheidenden Hinweis zu Lösung eines Mordfalls gab. Er stellte gegenüber der Polizei fest: „… dass das Opfer niemals ihrem Besucher den Tee in einem so schrecklichen chinesischem Porzellan, das man am Tisch fand, serviert hätte, sondern sicher ihr gutes Royal Doulton genommen hätte.“ Damit war allen klar – an der Szene war etwas faul. In unseren Breiten wäre es eher umgekehrt gewesen, aber das wäre wieder einmal eine andere Geschichte … Was da offensichtlich als Kennzeichen eines Lebensstils des Opfers und dessen Qualitätsbewusstsein dargestellt wird, wollen wir für die Beantwortung der Titelfrage verwenden, um festzustellen, was denn eigentlich Qualität in unserer Branche – und hier speziell bei Porzellan – bedeutet.

Man muss dabei leider schon wieder in der Geschichte herumkramen. In den Anfängen galt nämlich dieses oben erwähnte „schreckliche“ chinesische Porzellan als das Nonplusultra an Qualität. Hauchdünn, federleicht, durchscheinend und mit Dekoren, die mystisch und dekorativ zugleich waren. Daran hatten die Europäer ordentlich zu knabbern. Mit der Industrialisierung und dem Beginn der Massenfertigung begannen sich allerdings auch ein europäisches Qualitätsbewusstsein und neue Güteregelungen zu entwickeln. Ganz alte Hasen werden sich noch erinnern, dass es (wie heute bei den Frischeiern) Güteklassen gab, die in einer Listung des Industrieverbandes aufgezeichnet waren und nach dem die Betriebe auch ihre Kalkulationen und Sortierkriterien richteten. Man darf nicht vergessen, dass weißes Porzellan damals im Prinzip teuerer war als dekoriertes. Es musste also wirklich völlig fehlerfrei sein, was bei den damaligen, meist auch sehr händischen Erzeugungs- und Brennmethoden nicht ganz einfach war. Nach dieser Sortierung wurde der Rest für Dekoration genommen, und alles andere war 2A. Aus dieser Bewertungsmethode entwickelten sich irgendwann auch die Marken. Ausgenommen davon waren die Manufakturen, die ja in den Anfängen Fantasiepreise verlangt und bekommen haben. Hier gilt auch heute noch für viele Konsumenten: Image geht vor Ökonomie. Was auch richtig sein würde, wenn nicht diese Art von Konsument im Aussterben begriffen wäre – und leider gibt es keine Institution, die Artenschutz in dieser Richtung betreibt … aber auch das ist wieder eine andere Geschichte.
Der „Scherben“, also das nackte Porzellan, war eigentlich die Basis für jede Bewertung. Es gab bis in unsere Tage Betriebe, die dieses Kriterium gerne im Gespräch erwähnten, in den letzten Jahren ist auch das verschwunden. Warum – davon später. Zum Instrument für Einkäufer zählte dabei auch eine gut funktionierende Füllfeder. Dabei sollte man erwähnen, dass es auch noch sehr viel Steingut-, oder Steinzeuggeschirr gab, das verwendet wurde. Porzellan war ja bis in die Nachkriegszeit für viele Luxus. Der Füller wurde dafür verwendet, um die Dichte des Geschirrs zu prüfen. Dabei ließ man einen Tropfen Tinte auf den unglasierten Rand der Rückseite des Tellers fallen und beobachtete, ob und in welcher Zeitspanne dieser Tropfen versickerte. Bei gutem Porzellan blieb der Tropfen einfach stehen, bei billigem Steingut konnte man sehen, wie die Tinte komplett in den Tellerrand versank. Der Vollständigkeit halber – mit dem Füllhalter konnte man natürlich auch an das Porzellan klopfen, um zu hören, ob ein Sprung im Gegenstand und ob vielleicht die Glasur bei den Ränder nicht in Ordnung war. Es war daher in dieser Zeit auch das Fachwissen der Einkäufer gefragt. Damals wurde ja nur über den Großhandel vertrieben, und der Einzelhandel musste sich, wohl oder übel, auf die Qualitätskriterien des Großhandels verlassen. Nur die Manufakturen und manufakturähnliche Betriebe lieferten direkt an den Einzelhandel, und damit waren es diese Marken, die das Qualitätslevel auch als Vorbild definierten.
Porzellanprodukte galten dabei in vielen Fällen als Kunsthandwerk und nur die unteren Standards, wie z. B. Schüsselsätze, Häferl oder der berüchtigte Festonteller manifestierten sich als Industrieprodukte bzw. auch damals schon als Massenware.
Man muss für die Findung zu einem Qualitätsstandard auch noch berücksichtigen, dass in vielen Industriebetrieben die Ansprüche ständig gesteigert wurden, speziell bei den Dekoren entstanden bis weit in die 50er-Jahre hinein Dekorationen wie z. B. Kobaltdekore oder Goldätzkanten, die absolute Spitzenerzeugnisse waren. Aber damit trat das Porzellan, das Grundmaterial, etwas in den Hintergrund. Man konnte mit den immer neu entstehenden Dekortechniken vieles kaschieren, was die Massenfabriken auch gerne, aber in den meisten Fällen erfolglos, taten.
Auch gab es noch eine ganze Reihe von Porzellanarten, die im Lauf der Zeit verschwunden oder zurückgegangen sind. Denken wir nur an das „Bone China“, das heute noch gerne erworben wird, aber längst nicht mehr das Nonplusultra an Leichtigkeit, Transparenz und Farbe ist. Das leicht elfenbeinfarbene, ursprünglich aus England stammende Produkt hat sich aber auch in unserer Zeit einen Platz erhalten. Verschwunden ist dagegen das Seladon-Porzellan, ein leicht lindengrüner Scherben, der seine Liebhaber hatte. Dass Porzellan im Sanitär- und medizinischen Bereich in einer modernenWelt unverzichtbar ist, soll nur am Rande erwähnt werden, für die Produkte des gedeckten Tischs ist das, mit Ausnahme des kultischen Lilienporzellans, uninteressant. Auch wollen wir uns hier nicht mit dem figuralen Teil der Porzellanherstellung befassen, weil das eine eigene, sehr komplizierte Welt ist, die nur in den vielen einschlägigen TV-Sendungen über Kunst & Kram noch ein sehr lebendiges Dasein führt.
Wie Sie merken, reden wir mehr über die Vergangenheit und die seinerzeitigen Ansichten über Qualität, aber kein Wort darüber, ob es so etwas wie existierende Kriterien gibt, nach denen auch die Preislagen der einzelnen Marken und Erzeugnisse beurteilt werden können. Genau diese Beurteilung von Preisen war immer auch der Grund für Qualitätsvorgaben. Wer die Geschichte des europäischen Porzellans verfolgt, wird Dissertationen über Preisgestaltung bei Porzellan finden, und Aussagen wie „Manufakturen verlangen irrationale Preise!“, waren schon im 19. Jahrhundert an der Tagesordnung. Und wenn man über Handarbeit sprach, dann wurden gerne die Arbeitsstunde eines Installateurs ins Treffen geführt und dann z. B. die Arbeitszeit eines Malers bei der Dekoration einer Terrine mit Zwiebelmuster dagegengehalten. Da schnitt dann die Manufaktur immer günstig ab.
Und dann kam die Technik … Die aufwendige Herstellung der Masse, in allen notwendigen Aggregatzuständen, war in den Betrieben ein erheblicher Kostenfaktor. Man darf nicht vergessen, dass man Gussmasse brauchte ,und für die Dreher die „Massehubeln“, also in festerem verformbaren Zustand, benötigte. Wir wollen hier nicht in Detail gehen, aber findige Leute kamen auf die Idee, nur Porzellanmasse zu erzeugen und diese dann an die einzelnen Betriebe zu verkaufen. Eine vollautomatische Herstellungsweise war bald gefunden. Und damit begann das Zeitalter der Massemühlen. Heute wird die Porzellanmasse als Granulat angeliefert und benötigt nur mehr die Zugabe von Wasser. Die Hubeln kommen fix und fertig in feuchten Verpackungen, sodass die Fertigung sofort beginnen kann. Ein Segen für jeden Kalkulanten mit spitzem Rotstift. Aber das war nur ein Teil dieser technischen Revolution. Die Herstellung von Drehautomaten, die in der Lage waren, halbautomatisch (später teilweise auch vollautomatisch) Drehteile herzustellen, veränderte die gesamte keramische Industrie. Jetzt war es möglich, in kürzester Zeit exakt gleiche Teile, in präziser Wandstärke und Kantengleichheit, zu erzeugen. Das Aussortieren am Ofen wurde dadurch zur einfachen Übung, und die Produktivität stieg gigantisch an. Unangenehmer Nebeneffekt – man konnte nicht mehr mit der Handwerkskunst seiner Mitarbeiter und schon gar nicht mit der Einmaligkeit seines hervorragenden „Scherbens“ werben. Bei Betriebsführungen sind schon viele Firmenbegleiter in Argumentationsnotstand ­geraten, wenn sie vom traditionell traumhaften Porzellanscherben des Betriebs sprachen, während die Besucher über die Säcke mit dem Granulat stolperten …
Für die europäische Porzellanindustrie war das ein zweischneidiges Schwert, denn man war konkurrenzfähiger denn je, aber gleichzeitig übernahmen in Fernost viele Erzeuger diese technischen Möglichkeiten und waren mit einem Schlag in der Lage, die europäischen Standards zu erfüllen. Sollen wir noch erwähnen, dass man mit neuer Presstechnik auch eckige Platten etc. preisgünstiger erzeugen konnte und damit auch die Gestaltungsmöglichkeiten wesentlich größer wurden? Das Kunsthandwerk „Porzellan“ ist, mit Ausnahme der Traditionsmanufakturen tot – es lebe das perfekte Industrieprodukt.
Sie warten wahrscheinlich auf die Beantwortung der Frage nach dem ultimativen Qualitätsmerkmal, nach der Klassifizierung. Vergessen Sie’s. Der Konsument von heute erwartet von seinem Teller, dass er rund und handlich ist und dass alle Teller gleich sind – über Qualität diskutiert er nicht. Auch was die Optik und das Markenimage betrifft, hat der Käufer Defizite: Er kennt vielleicht eine Manufaktur und das Porzellan der Oma, aber mehr schon nicht. Schließlich ist er in der täglichen Marktkommunikation äußerst selten mit Porzellankreationen konfrontiert. Eine kleine Schicht schaut vielleicht auf große Designernamen, aber ob die auch bereit ist, dafür mehr zu bezahlen? Die große Masse gehört heute, was Tischausstattung betrifft, zur Kategorie „… das tut es auch“, was bedeutet, es gefällt und ist außerdem ein Schnäppchen – oder vice versa.

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