Samstag, 25. Januar 2020

Markendämmerung


Foto: Arek Socha | Pixabay

Mit den Gottesworten „In diesem Zeichen wirst du siegen!“ begann laut einer Legende der Aufstieg der Marke „Christentum“ und seiner Kreuz-„Logos“, als Konstantin wirklich die betreffende Schlacht gewann. Und danach haben sich langsam Symbole in alle Ideologien eingeschlichen. Kein ­Wunder also, dass später die ersten Marketing­pioniere das Marktpotenzial von Symbolen und ­Namen als Verkaufsmotoren erkannten, ganz zu schweigen von der sogenannten Propaganda, die viele Diktaturen verkäuflich machte. Wir sind zwar schon etwas abgestumpft, können aber trotzdem so mancher Markenkampagne, egal ob sie als hämmernde politische Kampagne oder als solide, brave Wirtschaftswerbung daherkommt, nicht widerstehen. Aber zeigen sich bei manchen Branchen nicht schon Abnützungserscheinungen …?


Aber lassen wir die vielen Geschichten über politische Markenbildungen und deren Auswirkungen, unser Schlachtfeld ist ist der Markt. Und in der Marktdemokratie ist der Konsument der potenzielle Wähler, der täglich mit dem Paragon an der Kassa seine Stimme abgibt. Dabei haben Marken noch immer ein gewichtiges Wort mitzureden – wenn sie der Handel lässt –, und so ist die Geschichte über Marken auch ein ständig schweigender Konflikt zwischen dem, der das Produkt an den Wähler, pardon Konsumenten, abgibt, und dem, der es erzeugt und möglich viel davon unter die Leute bringen möchte. Die Methoden, die man anwendet, um am Ort des Geschehen gut bis ausgezeichnet vertreten zu sein, wäre schon wieder eine ganz andere Geschichte …

Was aber ist denn eigentlich diese ominöse Marke? Rein rechtlich versteht man darunter ein Warenzeichen, einen Namen, ein Zeichen oder Symbol, mit dem Produkte gekennzeichnet werden,um die Einmaligkeit des Erzeugnisses und seines Erzeugers zu dokumentieren. Und das kann man sich markenrechtlich auch schützen lassen. In den letzten Jahrzehnten wurden Marken auch zu Trägern von Emotionalität, und der Gebrauch von Markenprodukten wurde zur Steigerung der Lebensqualität hochstilisiert oder zur Erhöhung eines nicht näher definierten Lebensgefühls. Denn X zu trinken: „… verleiht Flügel“. Rein rationale Überlegungen wie „Ich brauche das, daher kaufe ich’s“ sind längst verschwunden. Der Einzelhandel versteht noch immer nicht, dass die viel zitierte Fachberatung im Laden nicht mehr gebraucht, ja in den meisten Fällen sogar abgelehnt wird. Information und die Emotionalität werden über Markenwerbung und PR generiert, Beratung erscheint dem Konsumenten von heute oft, als würde ihm der Beratende etwas einreden wollen. Der Erfolg der Onlineunternehmen wäre ohne diese Einstellung gar nicht möglich. Und dieser Erfolg entzieht dem einschlägigen Handel, auch den Großflächen, nennenswerte Umsätze (und dem Staat einen Haufen Steuereinnahmen, aber das nur ganz nebenbei).
In Deutschland wurde 1903 ein Markenverband gegründet, der auch heute noch besteht und an die 300 Mitglieder hat. Denn es ist mittlerweile eine Entwicklung eingetreten, die zur oben erwähnten Emotionalität auch eine mehr als bedeutende ökonomische Komponente hinzu fügt – also neben der „irrationalen“ Bedeutung einen ganz und gar realen Wert. Das mag auch daran liegen, dass Studien belegen, dass bei Unternehmen mit starkem Markenfokus der Gewinn fast doppelt so hoch ist als bei vergleichbaren anderen Betrieben. Kein Wunder, dass die Höhe des Marktwerts der Marke, also das „immaterielle“ Wirtschaftsgut, mitunter die Hälfte des Unternehmenswerts ausmacht. Was auch dazu geführt hat, dass es viele Markenfirmen gab und gibt, die nur noch aus Produktdesign und Markenmanagement bestehen und selbst gar nichts mehr herstellen – oder eine kleine „Alibifabrik“ betreiben, um regionalpolitisch weiterhin anerkannt zu sein. Der Großteil der Produktion ist längst ein Wanderzirkus geworden. Es gibt die uralte Geschichte, dass in den Anfängen dieser Entwicklung US-Firmen die Maschinen allen möglichen Teilen der Welt zur Verfügung stellten, dass diese Maschinen aber auf Paletten montiert werden mussten, um so eine rasche Übersiedlung zu gewährleisten.
So funktioniert seit Jahrzehnten der Aufstieg der Marken, die man alljährlich in den Rankings bewundern kann. Mit Werten, die sich jenseits der Vorstellungskraft von kleinen Fachzeitschriften und sogar von so manchem Finanzminister bewegen. So liegt die attraktivste Marke der Schweiz, nämlich Nestlé, mit den Geschwistern Nescafe und Nespresso, mit einem Umsatz von mehr als 15 Milliarden Schweizer Franken an der Spitze – sie dürfen sich gerne den Verkehrswert der Marke errechnen. Und da funktioniert so ziemlich alles, bis hin zur Direktvermarktung. In den Medien kommen die Produkte sehr, sehr häufig vor, bei dem Werbevolumen keine große Sensation. Dass ist auch mit ein Geheimnis der Erfolge, dass Produkte, die in irgendeiner Form mit Lifestyle zu tun haben, permanent in den Medien präsent sind. Von den Influencern ganz zu schweigen. Es funktioniert auch, dass – fast wie bei einer Sekte – die Konsumenten eine Bindung zur Marke entwickeln, die schon etwas Kultiges an sich hat. Das war in den guten alten Zeiten auch noch bei Waschmitteln so, heute ist dabei schon wichtig, dass der Diskonter ihres Vertrauens eine „Aktion“ hat …
Da wären wir nun erstmals bei unserem Titel der „Markendämmerung“ – oder ist das vorläufig noch eine Vision? Faktum ist ,dass sich die Handelsgrößen ungern von den Markenfirmen diktieren lassen, zu welchen Preisen sie in den Markt gehen dürfen. So entstanden ja die unsittlichen „Unverbindlich empfohlenen Verkaufspreise“, in Publikationen meist verschämt UVP genannt, die die Basis für fast alle Aktionen bilden. Hier tobt der Kampf am heftigsten. Die absoluten Marken der Mode, der Luxusbranchen, halten sich noch wacker, aber selbst große, bedeutende Automarken kommen nicht mehr ohne „Aktionen“, sprich Verbilligungen, aus. Das allerdings reicht den großen Händlern längst nicht mehr, jetzt werden Eigenmarken produziert, eingedenk der Tatsache, dass ja auch so mancher Markenartikler extern produzieren lässt. Es ist sicher kein großes Kunststück gewesen, die Lieferanten ausfindig zu machen und diese zu bewegen, unter anderem Namen das gleiche Produkt zu liefern. Das sind die „Raubkopien“
z. B. des Lebensmittelhandels. Während in der Mode- und Uhrenbranche Flüchtlinge in den Großstädten mit den Raubkopien hausieren gehen, macht der Lebensmittelhandel das ganz seriös und legal. Die Markenindustrie sieht sich sogar seit einiger Zeit veranlasst, für das „Original“, also ihr „Auchfernostprodukt“, zu werben. Es ist kein Geheimnis, dass das Herkunftsland eigentlich vermerkt werden muss, aber auch da finden sich Mittel und Wege, um das per „Halbfertigprodukt“ oder „Veredelungsware“ zu umgehen.
Für unsere Branche ist das noch immer eine etwas andere Welt. Der Weg begann Ende der 50er-Jahre, als sich die Unternehmen, die so etwas wie Marketing betreiben wollten, aus der Abhängigkeit vom Großhandel zu lösen begannen. Wenn wir von Marken reden, dann hauptsächlich von Porzellan, denn dort entstanden die großen Umsätze, dort war noch mehr als genug Know how notwendig. Und auch für den Konsumenten war Tischkultur gleichzusetzen mit Porzellan. Die Lage war etwas verzwickt. Die bedeutendste Porzellanmarke, nämlich Meißen, lag hinter dem Eisernen Vorhang und war ein großer Devisenbringer der DDR. Man hatte dort nie kalkulieren müssen, und außerdem war man nicht gezwungen, das westliche Lohnniveau zu praktizieren. Die Folge davon war, dass die Marke Nummer 1 weltweit zu Preisen lieferte, die die anderen Manufakturen im übrigen Europa nie bieten konnten. Während Meißen so zu Lieferzeiten bis zu 36 Monaten kam und sich seine Kunden praktisch aussuchen konnte, mussten die übrigen Manufakturen auf eine Art Direktvermarktung ausweichen, die keine Handelsspanne notwendig machte. Erst nach der Wende wurde das besser, aber mittlerweile ist die Kundschaft für echte Handarbeit und Tradition im Schwinden begriffen.
Wenn wir die Nachkriegsszenerie betrachten und bei der Porzellanindustrie bleiben, so zeigt sich, dass vor allem der Nachholbedarf sehr groß war und dass in der Zwischenzeit die skandinavischen Staaten eine völlig neue Dimension an Gestaltung gefunden hatten. Im Prinzip gab es ein ganze Reihe von namhaften Herstellern, aber von echten Marken nach unserem heutigen Begriff war nicht viel zu sehen. Es war die große Zeit des Großhandels, mit einem Netzwerk aus der Vorkriegszeit, der in der Lage war, die auch auf diesem Sektor ausgehungerte Bevölkerung mit Ware zu versorgen – die alten Hasen erinnern uns noch gut an Exoten wie „Bulgarische Festonteller“, die den Vertretern aus den Händen gerissen wurden. Es kam allerdings die Zeit, wo sich die Porzelliner zu fragen begannen, was denn am Großhandel für sie lukrativ sein sollte. Man hatte keinerlei Einfluss auf die Vertriebspolitik und konnte auch nicht feststellen, zu welchem Marktpreis das eigene Produkt gängig war. Also ging man sukzessive daran, den Eigenvertrieb auf die Beine zu stellen, Vertreter von den Großhändlern abzuwerben und sich endlich einen Überblick über Marktchancen zu verschaffen. Bekannt waren ja einige Hersteller, meist war daber die Region der Star – Porzellan aus Limoges, aus Selb, aus Karlsbad, aus Stoke-on-Trent. Natürlich waren die Manufakturen ein Begriff, auch Namen wie Hutschenreuther, Arzberg, Wedgwood, Royal Kopenhagen oder Villeroy & Boch waren bekannt. Aber es war das Verdienst von Philip Rosenthal, der den Begriff der Marke durchsetzte, der es sogar schaffte, im Ranking einige Male mit Mercedes-Benz gleichgesetzt zu werden. Und so begann man mit Marketing in einer Branche, die immer noch glaubte, mit Tradition und künstlerischem Image existieren zu können. Denn als man die Handelsspanne des Großhandels einsparte, war eines der Argumente, dass man mit diesem Geld in die Werbung gehen könne und damit dem Einzelhandel, mittels intensiver Markenpromotion, Käufer in den Laden treiben würde. Wie wir wissen, ist es dazu faktisch nie gekommen. Die Gemeinschaftswerbungen für Tischkultur gingen alle in die Hose, und die Flagg-schiffläden der Markenpräsenz verbreiten nicht unbedingt großen Optimismus. Markenpolitik in dieser Branche, wie die für das legendäre Lilienporzellan, haben eher zu erheblichen Defiziten geführt. Wir müssen unseren Platz in den Rankings erst wieder erobern. Und die Chancen dafür sind nicht allzu groß. Derzeit liefern unsere Topmarken nur Magnetwirkung, wenn die Diskonter sie als Schnäppchen in ihre Millionenprospekte aufnehmen. Und da ist das entscheidende Momentum der Prozentsatz, der als Ersparnis angegeben wird. Gott erhalte den gesegneten UVP. Wir müssen wohl sogar noch hoffen, dass Raubkopien von den Produkten gemacht werden, denn das gilt heute  ja als Adelsprädikat für eine Marke …

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