Donnerstag, 19. März 2020

Es reicht nicht!

Foto: alesmunt | Adobe Stock

Jeder stellt sich irgendwann einmal die Frage, ob seine Bemühungen um einen Platz am Markt ausreichen, um Wachstum und Nachhaltigkeit zu erreichen,kurz, um ein erfolgreiches Unternehmen zu sein. Egal, ob Multikonzern oder das kleine Fachgeschäft in einer Seitengasse – ohne Bemühungen um eine solide Kundenschicht wird dieses Ziel nicht erreicht werden können. Es wäre daher manchmal von Nutzen, sich zurückzulehnen und sich zu fragen: Reichen meine Aktivitäten …? Und vielfach folgt darauf die Frage: Welche Aktivitäten?


Der Markt ist immer in Bewegung, und alle Akteure können sich faktisch nie zurücklehnen und ein Dol­ce­far­ni­en­te betreiben. Man muss ständig beobachten, analysieren und natürlich reagieren. Das gilt für den größten Multi genauso wie für die Gemischtwarenhandlung in Plautze am Waldrand. Dies meinen zumindest die Experten, die es wissen müssten. Bezüglich Experten: Diese haben uns vor einigen Jahren prophezeit, dass nur die Spezialisten im Handel überleben werden. Mittlerweile ist der spezialisierte Facheinzelhandel ein „bisserl“ in der Krise, während die Großen der Branche immer breitere Sortimente anbieten. Der Möbelhandel ist mit seinen Abteilungen wahrscheinlich der größte Anbieter an GPK geworden, und beim Lebensmitteldiskonter findet man auch Fernreisen, Werkzeug und selbstverständlich Telefonanbieter. Das sind die „Spezialisten“ von heute, was ja die angeblich dem Fachhandel vorbehaltene Beratung ad absurdum führt, die daher ohnehin kaum noch existiert.

enn man z.B. im Möbelhandel endlich eine sogenannte Kundenberaterin oder einen -berater findet, dann hat diese Person in den meisten Fällen absolut keine Ahnung von Porzellanmarken oder Unterschieden bei Bestecken und Gläsern, sondern sie weiß nur eines – irgendetwas haben wir jetzt in Aktion, und das ist meist um 71 Prozent oder so billiger. Wieso, ja das weiß sie nicht, gegenüber wem oder was, weiß sie natürlich auch nicht, aber eines weiß sie – so funktioniert es. Lassen wir also den etwas gruseligen Alltag und nennen wir unser Problem beim Namen – in dieser Branche ist die wichtigste Aktivität leider nicht mehr sichtbar. Wir sprechen von der Promotion, genauer gesagt von der Sales Promotion, der Verkaufsförderung mit Nachhaltigkeit – dem Markteinstieg etc.
Etwas, das z.B. die Lebensmitteldiskonter faktisch jede Woche neu erfinden. Neben den unheimlichen Rabattsätzen findet man jedesmal ein Thema oder etwas Saisonales oder gar Neues, das in den Vordergrund gestellt wird. Es ist Tradition  im Lebensmittelhandel, Kunden zu ködern. Denken Sie nur an den Ursprung aller Promotions – die Gemüsefrau, die ihre Äpfel einzeln poliert und in den Vordergrund legt. Derartige Köder reichen aber heute bei weitem nicht mehr, die Lockrufe müssen für nachhaltigen Erfolg wahr sein. Einer der erfolgreichsten Lebensmitteldiskonter wirbt nicht mehr mit einzelnen Rabattsätzen, sondern mit dem Generalslogan: „… bei uns können Sie sicher sein, dass alles günstig ist …“ oder so ähnlich. Köder und Überzeugung – die Rezeptur für eine erfolgreiche und längerfristige Firmenkonjunktur. Ganze Braintrusts zermartern sich bei den großen Konzernen den Kopf, mit welchen Aussagen, mit welchen emotionalen Tools man ein neues Produkt oder Handelsketten immer wieder ins Unterbewusstsein des Konsumenten hämmern kann, um Marktanteile zu bekommen oder zu verteidigen. Und eines ist sicher, am Beginn steht immer die entscheidende und selbstkritische Frage: „Warum soll der Konsument dieses Produkt kaufen, oder warum soll er es bei mir im Laden erwerben?“
Das Skurrile an dieser Frage ist, dass sich diese praktisch jeder Unternehmer stellen muss, egal, ob globaler Multikonzern oder Max Mustermann mit seinem Laden in einer Seitengasse der Vorstadt. Sie dürfen raten, wer sich diese Frage seltener stellt und wer es aber nötiger hätte, sie zu beantworten. Wir wissen heute, dass die großen Konzerne ständig ihr Ohr am Puls der Konsumenten haben, dass statistische Daten in rauen Mengen zur Verfügung stehen und dass Meinungen x-mal analysiert, abgeklopft und berechnet werden, ehe man zu einer Entscheidung findet. Dies hängt selbstverständlich von der Höhe der Kosten ab, die notwendig sind, um etwas Neues oder Notwendiges in den Markt zu pumpen, aber nicht nur. Es gab viele Beispiele, wo eine Einzelperson eine zündende Idee hatte und diese auch ohne große Strategie umsetzen konnte, aber die entscheidende zweite Welle einer Einführung ist meist bereits mit Strategie verbunden.
Zweite Welle? Alte Hasen können sie fast nie mit einer guten Idee überzeugen, die rechnen nur aus, was nachkommt, wenn die massive Promotion vorbei ist, wenn das Produkt, der Ladenstandort zum Standard wird. Wenn man eine Art Stammkunden gewonnen hat bzw. man einen längeren Lebenszyklus voraussetzen kann.
Zur ­Illustration vielleicht zwei Beispiele aus den sonst sehr seltenen Promotions unserer Branche: Da wäre das Paradebeispiel Lilienporzellan oder richtiger gesagt „Daisy Melange“, und da wäre natürlich „Sommelier“ von Riedel. Die Geschichte der Lilienporzellankampagne ist legendär. In der Branche war es absolut nicht üblich, so profanes Zeug wie kommerzielle Werbung zu betreiben. Die Nachfahren von Böttger & Co. waren über dermaßen banale Methoden erhaben. Und so benahm sich auch der Einzelhandel, als der freche Hersteller von Hotel- und Sanitärporzellan beschloss, mit einer neu entwickelten Geschirrserie in den Privatkonsum einzusteigen. Genial einfaches Design und sechs perfekt ausgewählte Pastellfarben für die Hauptteile wurden gemacht. Einzelteile, wie Kannen, Zuckerdosen, Gießer, Terrinen etc. in der fast vergessenen Porzellanfarbe „Seladon“, ergänzten ein absolut jugendlich-frisches Sortiment. Dazu noch der mögliche Sammeleffekt,  weg von der sechsteiligen Servicetradition, dem Trend der Zeit folgend. Es war angerichtet! Man nahm viel Geld in die Hand, verdammt viel Geld, um eine professionelle Kampagne auf die Beine zu stellen. Der gesamte Vertrieb lief sich wochenlang die Hacken wund, um den Einzelhandel zu überzeugen und mit Druck auch zu bewegen, an dieser Aktion prominent beteiligt zu sein. Sogar die naserümpfenden Elitehändler taten mit, auch wenn sie sich dafür bei den prominenten Porzellanmarken zu entschuldigen hatten. So startete diese Serie, die man heute noch auf Flohmärkten findet und die jeder Altwarenhändler und Bruchgoldaufkäufer mit Handkuss kauft. „Daisy Melange“ wurde Kult, obwohl sie nie zu einem Standardprodukt der Branche wurde. Es ist Geschichte. Nach Ablauf der Kampagne verschwand das Produkt wieder aus den Schaufenstern, auch aus den Zeitungsspalten und aus den Kinos. Es ist ein fundiertes Gerücht, dass der Umsatz des neuen Produkts gerade einmal die Werbekosten abdeckte. Trotzdem, Chapeau der damaligen Führung, so etwas versucht zu haben, denn das Produkt hätte ein Renner werden können, wenn … ja, wenn der Einzelhandel zum Mitspielen eingeladen worden wäre. Wenn man nicht in jeden Laden das gesamte Sortiment hineingestopft und so die Leithändler vergrämt hätte. Man hat dem Einzelhandel keine Eigeninitiativen angeboten, damit die Verdienstchancen der dynamischeren Handels­unternehmen vergrößert usw.
Ganz anders verlief der Weg von Riedels „Sommelier“ innerhalb der Branche. Es ist bekannt, dass Glasvater Riedel mit der Fachschule in Kramsach untersuchte, wie sich Glasdesign zu Weingenuss verhält. Ergebnis: eine Weinglasserie, die den Anspruch erhob, perfekten Trinkgenuss zu ermöglichen. Die Methoden, das unter die Leut’ zu bringen, sind legendär. Die Blindtests in den Läden überzeugten den Handel. Zur Erinnerung: Der gleiche Wein wurde in verschiedenen Gläsern serviert, und der Tester hatte die Aufgabe, die vermeintlich unterschiedlichen Weine zu bewerten. Auch wir Skeptiker waren einige Male dabei, und es gab immer wieder das gleiche Resultat: Der Wein aus dem Sommelierglas wurde mit Abstand am besten bewertet. Wie gesagt, der Wein kam immer aus derselben Flasche, damit war vor allem der vorerst reservierte Handel überzeugt. Und gab diese Überzeugung ständig weiter. Auch die Presse stürzte sich auf diese neue Art von Trinkkultur, und das in vielen Ländern. Unser Glasprofessor tat ein Übriges und sorgte für Heiterkeit, wenn er mit einem Köfferchen voller Gläser ins Nobelrestaurant kam, eine exzellente Flasche Wein bestellte und sich dann weigerte, diesen aus den „schrecklichen“, vom Restaurant angebotenen Gläsern, zu trinken. Er öffnete seinen Koffer und … der Rest ist Geschichte. Wenn Sie heute in Jedlersdorf, einer nicht ganz so prominenten Wiener Heurigengegend, den berühmt-berüchtigten herben „Staubigen“ bestellen, dann bekommen Sie Riedelgläser dazu – so steht es auch als Anreiz auf der Weinkarte. Zwei Beispiele der jüngeren Geschichte, aber auch Anzeichen dafür, dass es unsere Branche besonders schwer hat, ihre Leistungen erfolgreich zu kommunizieren. Man muss sich schon etwas sehr Aufregendes einfallen lassen, damit die Medien eine Message verbreiten.
Und das ist eben der Unterschied zwischen unseren beiden Beispielen: Während Lilienporzellan praktisch ohne Unterstützung des Einzelhandels, aber auch ohne großes Medienecho agieren musste, wurden die Riedelgläser von einer Welle an Kommunikation im Handel und in den Medien begleitet. Hier wurde eine Kosten-Nutzen-Rechnung, d. h. eine auch ökonomisch vertretbare Promotion, durchgezogen. Lilienporzellan musste die Rechnung voll bezahlen, das Ergebnis ist bekannt. Was bedeutet, dass man jede noch so gute Idee auch auf die ökonomischen Effekte prüfen muss. Es ist vielleicht nicht so bekannt, aber in den Entwicklungsabteilungen der Hersteller wogt seit Jahrzehnten ein Streit darüber, ob die Einführungskosten eines Produkts den Entwicklungskosten zugeschlagen werden sollen. Die Marketingleute sind sehr dafür, denn sie werden an den Pranger gestellt, wenn es keine zweite Welle gibt, und benötigen daher viel Rückenwind, – darum will man Kostenwahrheit vom ersten Tag der Planung an. Also sollte das Entwicklungsbudget auch die Einführungskosten tragen. Klingt vernünftig, aber diskutieren Sie diese Frage einmal mit jungen Designern. Diese akademische Debatte kann leicht in Handgreiflichkeiten ausarten …
Wir haben nun über Hersteller und deren Probleme bei einer Markteinführung geschrieben. Wie geht es aber dem Einzelhandel? Der Lebensmittelhandel mit allen angeschlossenen Sparten, vom Reiseangebot über die Bekleidung bis hin zu Werkzeug und Elektronik, hat seinen Weg gefunden: Permanentes Aktualisieren des Angebots mit vielen, sehr vielen Rabattaktionen und Nutzung aller Saisonen bis hin zu Exoten wie Halloween. Der Facheinzelhandel steht da ein wenig im Regen. Meist haben die Hersteller saisonale Promotionen eingestellt, von Kampagnen ganz zu schweigen. Man hat sich mit den „Billigsdorfern“ geeinigt, und der einst beratungsintensive Einzelhandel bleibt mehr oder weniger sich selbst überlassen.Und weil die Branche viele Kaufleute – also Leute, die sehr gut kaufen können –, aber sehr wenig Verkaufsleute besitzt, ist eher intensive Marketing-Stille zu bemerken. Dabei wäre der Fachhandel noch immer, auch gegenüber den Onlineshops, wettbewerbsfähig. Er müsste das „Warum“ nur genauer beantworten, seine Region ins Auge fassen und dort seine Nähe, Persönlichkeit und Individualität etwas forcieren, bekanntmachen. Und die Ware, die er anbietet, nach diesen Kriterien auswählen, denn es gibt noch immer eine große Anzahl von Herstellern, die sich durchaus mit dem mittelständischen Einzelhandel liieren ­möchten.
Wir haben uns zwei aus dieser Zunft angesehen, beide traditionsreiche, eingeführte Betriebe. Der eine liegt in einer B-Lage seitlich einer großen Einkaufsstraße, der andere eher in einer Hauptstraße der Vorstadt. Der erste inseriert hie und da in einer großen Gratiszeitung, ohne eine bestimmte Aktivität und nur mit mehreren bekannten Markenlogos. Der andere baut auf seine Umgebung und schießt anlässlich des Advents (kleinere Aktionen gibt es auch während des Jahres) 100.000 Prospekte in ausgewählte Nielsen-Gebiete. Sie dürfen sich selbst die Erfolgsquote ausrechnen. Aber es sei angemerkt, dass selbst ein Facheinzelhändler ökonomisch durchaus 100.000 Prospekte verkraften kann, denn ohne Nachfrage zu wecken, kann man sie auch nicht decken.

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