Freitag, 28. August 2020

Greißler-Digitalisierung?

 


Illustration: PikePicture | Adobe Stock

Der Kassenkampf zwischen dem stationären Handel und den Onlinegiganten geht nach dem Lockdown in die nächste Runde. Es sind allerdings die stationären Läden, die einen Kampf gegen Windmühlen ausfechten, denn der entscheidende Faktor ist noch immer der Konsument, und die nachkommenden Generationen haben alle sehr wenig mit konservativen Einkaufserlebnissen am Hut. Im Gegenteil – fast alle Lebensbereiche werden digitalisiert, es ist also nur mehr eine Frage der Zeit bis ein Wlan-Anschluss mit Rechner bei jedem Wohnungsneubau zum Standard gehören wird …


Hinter dem schönen Begriff „Digitalisierung“ verbirgt sich eigentlich immer die Absicht, menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Wir haben also ein „Menschenersetz-Ministerium“, das sich um die Zukunft kümmern sollte. Dabei ist der Bevölkerungszuwachs bei gleichzeitiger Verringerung der Arbeitsplätze das gravierende politische Problem, der Konkurrenzkampf zwischen dem stationären Handel und den Onlinegiganten ist daher eher eine Randnotiz – aber nicht zu unterschätzen, denn die Auswirkungen dieses von keinem der ach so kompetenten Wirtschaftsforscher vorhergesehenen Szenarios, sind beachtlich. Eines muss man ganz klar sehe: Das elektronische Shopping ist völlig legitim und erfüllt sowohl für Lieferanten als auch Besteller, alle rechtlichen Vorgaben – Punkt. Es ist mehr als billig, den Unternehmen, die sich Steuervorteile in verschiedenen Ländern zu Nutze machen, etwas vorzuwerfen. Eher den Politikern in den Wirtschaftsgremien, die die Folgewirkungen nie erkannt bzw. sie ignoriert haben. Die EU ist ein Binnenmarkt, und so wird auch agiert, manchmal sehr zum Schaden des nationalen Handels, der Städteplanung und auch des Arbeitsmarktes. Aber Consulting zählt zu jenen Branchen, die keine Gewährleistung bieten müssen – so wie wir Journalisten übrigens auch …

Gehen wir einen Schritt zurück und betrachten wir die Geschichte des stationären Handels aus der Sicht des Immobilienmarktes. Standorte in den A-Lagen der Großstädte verlagerten sich vom groß gewordenen Individualisten (man geht zum XYZ Geschirr kaufen) zu den Kapitalgesellschaften, zu den Ketten. So sahen bald die Fußgängerzonen von Sizilien bis nach Skandinavien gleich aus, denn nur Ketten waren langfristig in der Lage, die rasant ansteigenden Mieten zu zahlen, und so mancher alteingesessene Händler verdiente daher mehr an der Vermietung als an der Fortführung seines Ladens. In der GPK-Branche besonders eklatant zu bemerken – siehe die Hot-Spots in Wien und Zürich! Dann zogen die Einkaufszentren Läden von den Städten in die Peripherie ab, und plötzlich wurde das Angebot an Verkaufsflächen höher als die Nachfrage. Und in diese Situation kamen die Onlineshops und begannen Kaufkraft abzuschöpfen. Kann man ihnen das vorwerfen? Da ist ein Markt und eine äußerst willige Schar an Konsumenten, die diese mehr als einfache Form des Einkaufs schätzten.
Zu Bruch gingen dabei alle Vorhersagen der Handelsforscher. Das Zeitalter der Spezialisten wurde vorhergesagt – ja, einige wenige Guzzis und Pradas in der Fußgängerzone locken noch immer asiatische Mehrwertsteuersparer (wenn sie wieder reisen dürfen) an. Das Einkaufserlebnis und die kompetente fachliche Beratung werden sich durchsetzen – das waren schöne, und für die Referenten lukrative Seminarthemen auf den Messen, aber leider keine treffenden Vorhersagen. Man könnte noch viele dieser Sonntagsreden erwähnen, aber das wären verlorene Zeilen. Fakt ist, dass sich der Satz „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ als ausreichendes Verkaufsargument durchgesetzt hat. Das war ursprünglich der Werbeslogan für Farbfotografie, aber die gibt es ja auch schon lange nicht mehr – digitalisiert! Natürlich trifft es nicht alle Branchen gleich, aber statistisch gesehen werden neben den Einbußen durch die Pandemie auch im Normalfall bedeutende Einnahmen fehlen. Sowohl dem Handel, aber genauso dem Staatssäckel bei der Umsatzsteuer. Nur die Post jubelt! An Spitzentagen befördert die österreichische Post bis zu 800.000 Pakete, das bedeutet gegenüber Frühling 2019 eine Steigerung um 70 Prozent. Damit rechnet man bei der Post mit 150 Millionen Paketzustellungen im Kalenderjahr 2020, eine fast unvollstellbare Zahl, wenn man die Größe unseres Landes betrachtet und bedenkt, dass es sich dabei kaum um Produkte des täglichen Bedarfs handelt. Wie viel frei verfügbares Einkommen da aus dem Land fließt, wird sicher noch diskutiert werden, zwar nicht im Digitalisierungsministerium, aber sicher in der Finanz. Auch kommt eine neue Art von Kriminalität auf – immer öfter werden die gelben Zettel der Post aus den Kästen gestohlen bzw. die Postboxen einfach aufgebrochen. Die Post ist vorläufig ratlos, wie man das verhindern könnte. Da kommt sicher bei der Polizei ein neuer Arbeitskreis und eine Task Force!
Aber das alles ist Stimmung, ist Meinung, ist Folgeerscheinung gesellschaftlicher Entwicklungen – denken Sie auch noch manchmal an die seligen Hochzeitslisten? Entscheidend für jede Marktentwicklung ist immer der Konsument. Der täglich seine Stimme an den diversen Kassen abgibt und damit, wie in jeder Demokratie, die Richtung entscheidet. Es ist schon ein wenig naiv, zu glauben, dass man der großen Masse an Käufern ein schlechtes Gewissen machen kann, wenn er im Ausland etwas bestellt. Der posteigene Online-Marktplatz „Shöpping“ macht zwar mittlerweile mit 900 Händlern rund 40 Millionen Umsatz, aber was alleine die TV-Werbung kostet, um das zu erreichen, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Es ist allerdings Teil der Strategie, den bereits etablierten Häusern wie Zalando, Amazon usw. Konkurrenz gegenüberzustellen. Das von der Politik angestrebte „Kaufhaus Österreich“ ist im Werden. Dafür soll ein neues Gütesiegel geschaffen werden, mit dem jeder Händler zeigen kann, dass er einen funktionierenden Onlineshop betreibt. Man ist sich zwar im Klaren, dass das keine ernst zu nehmende Gefahr für z. B. den Giganten Amazon ist, aber als gut gemachte Alternative, so hofft man, vom Kunden angenommen wird. Für den Handel hat man einen zusätzlichen Anreiz geschaffen, die Investitionsprämie (normal sieben Prozent) wurde für Projekte der Digitalisierung auf 14 Prozent verdoppelt! Auf der anderen Seite sind auch die Onliner nicht untätig. Tausende Amerikaner, Europäer und auch Neuseeländer erhielten unlängst mit der Post Päckchen mit Samen, und hatten keine Ahnung, wieso. Mit einer Aussendung warnt das US-Landwirtschaftsministerium davor, diese einzupflanzen. Es wird dabei kein „Bioterror“ vermutet (die Sendungen kamen aus China), sondern schlicht ein Betrugsversuch – sogenanntes „Brushing“. Dabei verschickt ein Onlinehändler leere oder mit wertlosem Inhalt gefüllte Packungen, um so über die tatsächlichen Empfängeradressen hohe Verkaufszahlen vorzutäuschen, was bei Verhandlungen mit potenziellen Lieferanten sicher von Vorteil ist.
Aber alle angedachten und schon realisierten Aktivitäten werden am Grundprinzip bzw. am Hauptproblem nichts ändern – das langsame Veröden der Einkaufsstraßen in den Städten, das Verschwinden von Arbeitsplätzen, den Abfluss von Kaufkraft ins Ausland, und die Abwertung der Immobilien mit Verkaufsflächen sowie – natürlich – geringere Steuereinnahmen. Das könnte nur durch ein Umdenken des Konsumenten geschehen, aber derzeit sind keine Anzeichen für eine Trendwende in Sicht. Ganz im Gegenteil. Die nachdrängende Generation ist eine, die noch viel mehr mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche mitwächst. Sie vermisst absolut nichts, was die Automatisierung und Digitalisierung verdrängt und vernichtet hat, was selbstverständlich ist, denn dadurch ist ja alles besser und leichter geworden. Für die Kollateralschäden ist die Politik verantwortlich. Und die hat genügend Kopfzerbrechen damit. Erstaunlich eine Mitteilung der letzte Tage, dass nämlich versucht werden soll, wieder Geschäfte für die Nahversorgung in kleineren Orten einzurichten. Mit massiver Förderung und großzügiger Behandlung. Wir haben selbst einen Fall erlebt, als sich in einer Waldviertler Gemeinde, als der letzte Greißler zusperrte, niemand fand, selbst mit Mietbefreiung und langfristigen Krediten und Förderungen, der sich das noch antun wollte.
Wer sich die Logistik eines Online-Shops ansieht, der muss sich fragen, was finden denn die Leute daran? Man muss aufgrund eines Bildes mit Text bestellen, man muss auf die Lieferung warten, man hat niemanden, mit dem man über Änderungen bei Kleidung reden kann, man muss sich das Paket von irgendwo holen, wenn man das Pech hat, bei der Lieferung nicht zu Hause zu sein. Vom Probieren und in die Hand nehmen der Produkte ganz zu schweigen. Dazu kommt die Umweltbelastung von hypertropher Verpackung und in Österreich von rund 150 Millionen Zustellungen, von Retouren ganz zu schweigen. Ist es das Gefühl, völlig frei von allgemeinen Zeiten und Regeln ungestört einkaufen zu können? Oder das Hauptargument der Selbstbedienungsläden „Bei SB bist Du immer der Erste in der Warteschlange“! Es muss in dieser Richtung liegen, denn sonst wäre auch Online-Banking eigentlich eine Zumutung – alles selber machen und dafür zahlen. Auch die Behörden „lassen machen“ – fast jedes Amt bietet bereits die Möglichkeit, den Behördenweg zu vermeiden. Ort und Zeit der Tätigkeit ist also individuell wählbar. Und der Ort ist sicher nicht die City, die Fußgängerzone oder die Shopping-Mall. Es wird notwendig sein, dieses Konsumverhalten einmal auch wissenschaftlich akribisch zu untersuchen, denn mit der Errichtung unzähliger Onlineshops kann man vielleicht Umsätze retten, aber sicherlich nicht Ortsbilder. Und der stationäre Handel muss aufwachen und nicht beleidigt auf Trends reagieren. Zu jedem Geschäft einen Onlineshop zu eröffnen, scheint derzeit die Therapie zu sein, aber, verehrte Experten, das riecht eher nach Placebo …

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