Dienstag, 27. Oktober 2020

Krise sucht Werbung

  


Foto: Matthew Henry | Burst

Krisenzeiten sind immer auch Zeiten eines erhöhten Informationsbedarfs – vor allem das schwarze Schaf der Werbefamilie, die Propaganda, hat da meist Hochsaison. Und wenn es der Wirtschaft schlecht geht, dann geht es meist dem beratenden, aber nicht garantierenden Gewerbe besonders gut. Aber eines ist sicher – jede Wirtschaftskrise braucht den Nachfragemotor Werbung wie einen Bissen Brot. In unserer Branche scheint allerdings der Ausspruch der Marie-Antoinette zu gelten: „… wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen!“ Aber derart zynisch wollen wir nicht beginnen …


Es ist schon eine Weile her, da haben die Weisen dieser Branche lange und intensiv über eine Gemeinschaftswerbung nachgedacht, und, man höre und staune, diese auch auf Schiene gebracht. Alle waren sich in der GPK-Branche einig, dass alles rund um den gedeckten Tisch einen kräftigen Nachfrageimpuls benötigen würde. Selbst die Finanzierung wurde in ungewohnter Einigkeit erledigt: Ein kleiner Prozentsatz jeder Rechnung innerhalb der Branche ging sowohl vom Lieferanten als auch vom Warenempfänger an die Organisatoren dieser  Gemeinschaftswerbung – und das alles auf freiwilliger Basis. Machen wir es kurz: Es funktionierte trotzdem nicht, denn man konnte sich nicht über die Werbeaussagen einigen. Also entstanden absurde Slogans und Rundfunkspots, über die man den milden Mantel des Vergessens breiten sollte. Neben den klassischen Werbemethoden fand auch eine Reihe von PR-Veranstaltungen statt, und eine davon ist in Erinnerung geblieben: Neben Designerguru Matteo Thun diskutierten prominente Vertreter der Industrie, und auch wir waren geladen. Mit dabei war auch der Kenner der österreichischen Seele, Professor Ringel. Thema war: „Ist Tischkultur ein überflüssiges Ritual oder Lebensqualität“? Wir wollen es nicht verhehlen – es kam absolut nichts dabei heraus, außer dem Ausspruch des Meisterpsychologen Dr. Ringel, der in seinem herrlichen Schönbrunner Deutsch meinte: „Schaun Sie! Wenn ich mit meiner Frau nach der Hochzeitsnacht aus einem Häferl Kaffee trinke, dann wird dieses Häferl für uns alle Zeit mehr Wert haben, als das schönste Designerstück oder wertvolles antikes Porzellan. Also müssen Sie nur Geschirr entwickeln, das dieses Gefühl immer wieder hervorruft!” Das Schweigen nach dieser Aussage dauert immer noch an!


Und so stehen wir auch heute noch vor der Tatsache, dass es für Tischkultur und deren Ausstattung noch immer keine einheitliche Werbeaussage gibt, die in Zeiten wie diesen dem Konsumenten klar macht, dass diese Produkte unverzichtbar zur Lebensqualität zählen. Oder? Ist es vermessen, so profane Dinge wie einen Teller, ein Messer oder ein Wasserglas als Lebensqualität zu bewerten? Eine Selbstverständlichkeit, die sich auch seit undenklichen Zeiten in Funktion, aber auch in grundsätzlicher Form nur unwesentlich verändert hat. Da lässt sich natürlich vortrefflich streiten, ob zeitgemäßes Design nicht eine gewaltige Veränderung gebracht hat, oder dass die Studien, welcher Wein zu welchem Glas passt, fast schon so etwas wie Wissenschaft sind. 
Um den Genuss bei Tisch zu steigern, ja eine einfache Mahlzeit zum Event hochzustilisieren, sind wir, die Repräsentanten des Wirtschaftszweigs „Tisch & Küche“, wichtiger denn je. Und das glauben wir seit vielen, vielen Jahren – leider fehlt es an echter Bestätigung durch die Öffentlichkeit. Wir können über den Begriff Küche und alles, was damit zusammenhängt, diskutieren, Fakt ist, dass das Versorgungskochen ab- und das Hobbykochen zugenommen hat. Im Falle des „Gedeckten Tisches“ sieht es anders aus. Das liegt in der gesellschaftlichen Entwicklung der Familienstruktur, dem Abnehmen der Großfamilien, der Doppelbelastung der Frauen, dem Verschwinden des Hauspersonals auch aus den Großbürgerhaushalten und der Verlagerung von Essenseinladungen in Lokale statt ins eigene Heim. Damit werden die Geräte viel seltener verwendet und halten faktisch ein Leben lang. 
Der Austausch aus Prestigegründen, also Imagesteigerung durch Kauf eines höherwertigen Produkts einer populäreren Marke erfolgt kaum noch, und die Sehnsucht nach einem „schönen Geschirr“ ist mehr als überschaubar geworden. Ohne noch mehr ins Detail zu gehen, kann gesagt werden, dass GPK-Branche & Co nicht gerade Renner im Kampf um den Konsumenten sind. Was sich auch darin zeigt, dass es diese Branche in den diversen Rankings gar nicht mehr gibt – etwas, das in den 50er-Jahren unmöglich gewesen wäre, denn da stand der sogenannte Edelhausrat in den Erhebungen der Weihnachtswünsche immer an vorderster Front und hatte eine eigene Rubrik in der Aufstellung der Handelsumsätze, die sich jetzt in den Umsätzen des Möbelhandels verstecken dürften. 
Mit allen diesen Schwierigkeiten hat die Branche in den letzten Jahren leben müssen. Unzählige Fabriken sind einfach verschwunden, zig Geschäfte haben das Handtuch geworfen und so manches unsinkbare Schlachtschiff der Branche hat den Besitzer gewechselt. Versuche, wieder verstärkt Bedarf zu wecken, sowohl von den Herstellern, als auch von der Gemeinschaft, sind Fehlanzeige. Während selbst die Installateure in der Lage waren, ihr Image mittels Werbung zu heben und ihre Dienstleistung verständlich anzubieten, gab es in unseren Reihen nicht einmal Versuche dafür. Und Werbung, Marktkommunikation, Public Relations wurden zu den beliebtesten, nicht verwendeten Fremdwörtern. Natürlich kamen Dutzende höchst gut ausgebildete PR-Leute in die Branche, die mit den verstaubten Methoden wie Anzeigen, Werbespots oder Plakataktionen aufräumten und die Wunderwaffe „Social Media“ in die Waagschale warfen. Sehr zur eigenen Freude, aber (natürlich) ohne merkbare Wirkung. Was niemandem auffiel, denn es gab ja auch vorher keinen Erfolg. So standen wir in den Charts, aber dann kam die Krise – eine Pandemie, die alles veränderte, alles in Frage stellte und die alle Wirtschaftszweige zwingen wird, ihren Status, ihre Vertriebswege und ihre Produktpolitik zu überdenken, um eventuell für die nächste Seuche und den nächsten Lockdown gerüstet zu sein. Dies ist aber auch eine Chance alles, wirklich alles, neu zu überdenken.
So stehen wir jetzt mitten in der Corona-Krise und suchen nach Beispielen, wie sich unsere Branche gegen die fatalen Auswirkungen zur Wehr setzt. Und es gibt die mutigen Einzelhändler, die sich in die Materialschlacht in die Medien wagen und zumindest zeigen, dass sie etwas zu bieten haben. Da gibt es auch die Ketten, die den gesamten Bereich unserer Branche durchackern und Produkte zu Preisen auf den Markt werfen, die einem die Schamröte ins Gesicht treiben. Wir haben schon Hausrat gefunden, der bis zu 90 Prozent reduziert wurde. Ärgerlich auch, dass bekannte Markenfirmen in ganzseitigen Farbinseraten ihren Online-Shop (!) bewerben und dabei 20 Prozent Rabatt gewähren. Hier wird die Krise genutzt, um die vom stationären Einzelhandel erarbeitete Popularität für die Direktvermarktung zu nützen. Aber seien wir ehrlich – Dankbarkeit war noch nie ein Marketingfaktor. Und so heult man eben mit den Rabattwölfen mit. Wer will es ihnen verdenken, wenn die Zwischenbilanzen tiefrot sind. 
Aber es sollten sich die Institutionen, die Verbände, die Kollegen schon jetzt Gedanken machen, wie es nach der Krise aussehen wird. Werden die Hersteller noch stärker auf die Großvertriebsformen setzen und das Einzelhändlersterben wieder in Kauf nehmen? Wird der stationäre Einzelhändler sich endlich aufraffen und versuchen, Sortimente anzubieten, die eben nicht in den Discountkampagnen vorkommen? Wird es eine Gemeinschaftswerbung geben, die etwas zu sagen hat? Denn das ist nämlich bei allen Fragen der Zukunft die entscheidende Frage. Warum sollen die KonsumentInnen unsere Produkte kaufen und vor allem ständig verwenden? Was ist der Nutzen für eine Familie, wenn man sich ein neues, schöneres Service kauft? Warum schmeckt ein kühles Bier besser aus einem Glas, auch wenn es noch so „chic“ geworden ist, aus der Flasche zu trinken? Warum ist ein Löffel besser, wenn er ein richtige, ergometrische „Bewegung“ hat, als ein billiger Stahlprügel mit Laffe? Und vor allem – wie sagen wir’s? Die in den Sozialen Medien verbreiteten Berichte sind bezahlte, eingefärbte PR-Texte, die nichts bewirken, außer Bekanntheitsgrad und die perverse Ansicht, dass man damit Werbung betreibt. Befragen Sie solche „Experten“ einmal zum Streuverlust einer echten Aussage, über ihre Rücklaufquoten und über die Kosten eines Kunden, der über Social Media in den Laden gekommen ist. Fragen Sie auch, wie intensiv sich die Berichte auf das Aufblühen der Onlineshops ausgewirkt haben. 
Und bitte, bitte, finden Sie endlich Argumente, warum Tischkultur Lebensqualität bedeutet oder bedeuten kann!

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