Sonntag, 6. Dezember 2020

Wunderwaffe Direktvermarktung?

   


Foto: Simon Bak | Unsplash

Wenn es eng wird mit den eigenen Umsätzen, dann haben die Hersteller schon immer zur letzten der wirkungsvollen Methoden gegriffen – der Direktvermarktung 


Die Direktvermarktung kam in allerlei Verkleidungen daher: Fabriksabverkauf, Exkursionen mit Einkaufsmöglichkeit, Schauhütte, Outlet, aber auch als Flagship-Store in der City und natürlich auch mit einem Laden in den Einkaufsdörfern und Marken-Abverkaufsware ohne Ende. Aber jetzt geht’s es erst so richtig los – jeder Miniwerkstätte einen eigenen Onlineshop im Internet, so heißt die staatlich heftig geförderte Devise zur Bewältigung der diversen Krisen. Und es finden sich sehr viele, die meinen, das Butterbrot vorne und hinten streichen zu können …


Denn das ist ist der Weisheit letzter Schluss – einen Laden und einen Online-Shop zu haben, das garantiert die notwendigen Umsätze. Es gibt noch keine vergleichbaren Geschäftsjahre, aber wer sich die Umsätze der Onlineriesen betrachtet, der sollte sich es gut überlegen, auf dieses Pferd zu setzen, denn der Vorsprung der Spezialisten ist bereits riesig groß. Aber zäumen wir das Pferd nicht von der Statistikseite auf, überlegen wir, was eigentlich der Grund ist, dass der gute Papa Staat so tief in sein Säckel greift, um auch dem jüngsten und kleinsten Einzelunternehmer eine Website mit Shopqualität zu fördern …
Da ist einmal die Tatsache, dass während des Lockdown in der Coronakrise die großen Anbieter ungeheure Umsätze machten, während die stationären Anbieter geschlossen halten mussten. Dann ist da der Aspekt, dass z. B. Amazon Milliarden an Kaufkraft aus den Nationalstaaten absaugt, ohne dafür national Umsatzsteuern zu bezahlen. Jetzt versucht man eine nationale Konkurrenz zu fördern, um ­wenigsten diesen Faktor wegzube­kommen. 
Viel Glück, denn die Marktführer sind Sortimentsanbieter, bieten also große Auswahl und Vergleichsmöglichkeiten. Und sie sind bereits mit vollautomatischen Lagern ausgestattet, wo kaum noch menschliche Arbeitskraft notwendig ist. Ein Wettbewerbsfaktor, der auch in anderen Branchen zu einem nicht zu unterschätzenden Vorteil geworden ist. Wenn man daher dem stationären Handel rät, auch einen Online-Shop zu installieren, dann rechnet man offensichtlich damit, dass die Nachfrage nicht allzu groß werden wird und mit den vorhandenen Versandkapazitäten zu bewältigen wäre.
Man nimmt gleichzeitig aber auch in Kauf, dass man damit die Frequenz des stationären Handels schmälert, denn zusätzliche Kaufkraft scheint in keiner Prognose in Sicht zu sein. Allerdings sollte man dabei auch nicht vergessen, was z. B. die Chefredakteurin der Tageszeitung „Kurier“, Martina Salomon, in ihrem Leitartikel am Tage des Lockdown an den Beginn ihrer Überlegungen stellte: „Wer künftig keine toten Städte haben will, sollte bewusst kaufen und mehr als sonst überlegen, wohin die Wertschöpfung fließt“.
Machen wir einen kleinen Seitensprung zum Thema Frequenz und stationärer Handel. Es scheint ein Tabuthema zu sein, dass alle Vertriebsarten, die nicht an einen fixen urbanen Standort gebunden sind, die Standorte in Citylagen schädigen. Die Folgen kann man fast in ganz Europa sehen – leer stehende Geschäfte in vielen Teilen der Großstädte. In Deutschland hat sich gerade eine Initiative etabliert, um gegen diese Entwicklung anzukämpfen. Ein Fonds „Innenstadtförderung“ wurde gegründet und soll in der nahen Zukunft massiv gegen den Abwärtstrend ankämpfen. In welcher Form dies geschieht, das steht noch ein wenig in den Sternen. Unsere etwas naive Wirtschaftskammer versucht das schon seit geraumer Zeit mit Unterstützung von lokalen Werbegemeinschaften, die mit den unterschiedlichsten Methoden den Bewohnern ihres Gebiets den Einkauf „ums Eck’“ schmackhaft zu machen versucht. Naiv deshalb, weil es offensichtlich keine Erfolgskontrolle gibt, die die getroffenen Maßnahmen bestätigen könnte, und weil die Argumente für einen eventuellen lokalen Einkauf einfach nicht wirklich stimmig sind. Mit Mitleid macht man keine Marktanteile, mit Patriotismus heutzutage auch nicht, und ob das schlechte Gewissen ein Argument ist, darf man bezweifeln. 
Die Aktion zur Förderung von Online-Shops erinnert ein bisschen an die unsägliche Geschichte der EU, die in Brüssel im 3. Stock eine Kampagne gegen das Rauchen plante und im ­
4. Stock großzügige Förderungen für Tabakbauern beschloss. Denn Faktum ist, dass alle elektronischen Vertriebsmethoden (aber auch Einkaufszentren auf der grünen Wiese und Versandkataloge) dem stationären Handel Kaufkraft absaugen, die Immobilien in den Städten entwerten und viel zu wenig für den Steuertopf beitragen. Und das soll die Allgemeinheit fördern? 
Ähnlich auch die Initiative „Straßen wieder attraktiver machen“, die die Wirtschaftskammer in Wien startet. Insgesamt sollen EUR 175 Millionen investiert werden, um die „Erdgeschoß­zonen“ wieder attraktiver zu machen, denn wenn die Geschäfte wieder attraktiver werden, halten sich die Leute länger im Grätzl auf und kaufen auch mehr ein – so der Grundgedanke der Aktion. Eine Grätzloffensive, bei der 25 Projekte in fünf Jahren abgeschlossen werden sollen. Man kann gespannt sein, welche Gegenden in Wien da auf der Agenda stehen, denn das Ladensterben in den Gegenden außerhalb der City ist evident. Auch ist unüberhörbar, was die Generation „Shopping“ sich wünscht. Während der Pandemie hat man genauer untersucht, was die ausschlaggebenden Gründe für Kauf oder Ablehnung sind. Nicht einmal so überraschend ist, dass der Konsument Shopping und Gastronomie als untrennbare Einheit sieht und daher das Shopping-Erlebnis fast immer auch mit Gaumengenüssen verbindet. „Ohne Geld ka Musi“ sagt ein Wiener Sprichwort, „ohne Gaumenschmaus kein Einkauf“ ist die Erkenntnis des Lockdowns. 26  Prozent der Konsumenten haben ihre Einkäufe im Internet gesteigert und 27 Prozent kaufen mittlerweile überhaupt nur mehr im Internet ein. Aber 51 Prozent, und das ist die Horrormeldung einer Studie von IHM, gehen in jedem Fall zukünftig weniger in Geschäften einkaufen.
Es ist daher legitim, sich als Unternehmer jener Methoden zu bedienen, die zusätzliche Umsätze bringen. Im Rahmen der bestehenden Gesetze gibt es eben auch die Möglichkeit, Waren per Computer anzupreisen und auch die Bezahlung und den Versand elektronisch zu organisieren. Es muss uns allen klar sein, dass Digitalisierung etwas mit „automatisch“ zu tun hat und dass damit menschliche Arbeitskraft ersetzt wird. Kein Grund, deswegen dieses Angebot abzulehnen, aber die Politik sollte sich schon Gedanken darüber machen, wie sich eine noch nicht abzusehende Automatisierung im Handel auf die Gesellschaft auswirkt. Man wird es nicht ­verbieten können, ohne deswegen den freien Markt zu beschädigen, aber man muss faire Wettbewerbsbedingungen schaffen.
Der Teufel liegt wie immer im Detail. Derzeit wütet eine Pandemie in Europa, aber für die Onlineshops ist das eine zusätzliche Hochsaison, wie man sie selbst mit der besten Werbekampagne nie schaffen hätte können. Mit Ausnahme des Lebensmittelhandels werden so ziemlich alle Handelsbranchen in der Lockdown-Phase Umsätze verlieren. Wenn man bedenkt, dass das Weihnachtsgeschäft im Schnitt ein Drittel des Jahresumsatzes ausmacht, kann man ermessen, wie das Resultat für den stationären Handel aussehen wird. Und auch der Lebensmittelhandel sahnt derzeit ganz schön ab. Die meisten Filialen haben ja mittlerweile Kaufhausdimensionen erreicht, und wer heute ein neues Telefon oder ein Urlaubsreise erwerben will, kann das bequem mit seinen Lebensmittelbesorgungen (erlaubt) kombinieren. Ein Blumenhändlerin hat sich bitter beklagt, dass sie ihre Adventkränze entsorgen wird müssen, aber beim Diskounter diese auch in der Lockdown-Zeit rechtzeitig erworben werden können. Ein sehr, sehr kleines Detail, aber es zeigt, wie schwierig es ist, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen – und dass der Markt nur Eigeninteressen kennt. Der Lockdown verschärft die an sich prekäre Situation des stationären Handels noch mehr. Jetzt machen sich die Vermieter von Handelsimmobilien bereits Sorgen, dass „Corona ein Brandbeschleuniger für Entwicklung im stationären Handel wird“, so die Aussage eines Experten von Otto Immobiien in einem Interview.
Im Zuge der gesamten Entwicklung auf dem Sektor elektronische Medien und Online-Shops ist auch eine Strategie wieder erwacht, die kaum mehr beachtet wurde – die Direktvermarktung! Der Weg eines Produkts vom Erzeuger zum Verbraucher war ja ursprünglich von vielen Zwischenstationen geprägt. Aber der Grundsatz: „Du erzeugst und ich, der Handel, vertreibe“ war übliche Methode, die bis in unsere Zeit zumindest in den meisten Fällen Gültigkeit besaß. Lassen wir Bauernmärkte und Ähnliches einmal weg, die waren und sind Farbtupfer im Marktgeschehen. Jetzt, auch im Zuge der allgemeinen Entwicklung und Förderung, erstellen immer mehr Erzeuger Online-Shops für ihre eigenen Produkte. Man verlässt sich dabei auf bewährten Sprichwörter, wie „… man geht gleich zum Schmied und nicht zum Schmiedl.“ 
Ein besonders auffälliges Beispiel ist dabei die Premiummarke Riedel, die sich vehement in diese Sparte gestürzt hat. Mit ganzseitigen Anzeigen und eleganten TV-Spots wird der Shop beworben. Unnötig zu erwähnen, dass man bei direkter Bestellung einen Rabatt gegenüber den berüchtigten unverbindlichen Verkaufspreisen lukrieren kann. Nicht falsch verstehen, es gibt eine ganze Menge von Hersteller, die versuchen, diesen Vertriebsweg zu gehen, und das ist auch nicht verboten – ob es klug ist, soll jeder selbst beurteilen. Wir erwähnen Riedel, weil das Unternehmen auch hier mit guter und professioneller Werbung eingestiegen ist – sicher nicht, weil man zu viel Geld hat, sondern weil man in Kufstein weiß, wie man Kampagnen machen muss. Uns hat allerdings fast der Schlag getroffen, als wir vor einigen Wochen im Kurier auf Seite 3 ein ganzseitiges Inserat der Gmundner Keramik sahen, das „Heimatliebe jetzt online kaufen” propagierte. Viele neue Onlineshopbesitzer denken hingegen, „das Internet wird’s schon richten“. Ein neuer Vertriebsweg ist eine Investition – Punkt! Und hier wird agiert, als wäre es ein Impfstoff gegen Absatzkrisen. Ist es nicht, kann es auch nicht sein. So viele Förderungen kann man gar nicht vergeben, um ohne entsprechende Umwerbung Erfolg zu haben.
Es wird nicht reichen, einen ideologischen Kampf gegen alle zu führen, die dem stationären Handel schaden. Es wird immer auch auf die Kraft der Unternehmen ankommen, die Herausforderungen anzunehmen. Die großen Handelsketten haben das längst erkannt und können durchaus das Butterbrot zweimal schmieren, als Laden und als Onlineanbieter. Die Lebensmittelgiganten und Frequenzriesen haben bereit ein Sortiment, dass von temporärer „Schnäppchenjagd“ geprägt ist und heute praktisch alles anbieten kann, von der Weltreise bis zum Frischgebäck. 
Der Markt wird die Probleme der Städte nicht lösen, er wird sie verursachen. Die Umsätze der Onliner fehlen dem stationären Handel, die Umsätze der Direktvermarkter werden den eigenen Kunden entzogen, denn es ist ein frommer Wunsch, dass durch die neuen Anbieter das Umsatzvolumen größer wird – es wird sich nur verschieben. Die Folgen können Sie täglich in den Straßen besichtigen, die Spätfolgen können Sie in den Ergebnissen der Immobilienanleger feststellen, wenn die Mieten in den Keller gehen. Dagegen ankämpfen könnten nur die Konsumenten, aber die hat bis jetzt noch niemand überzeugt …

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