Sonntag, 7. Februar 2021

Marktkommunikation per Social Media?

    



Illustration: Gerd Altmann | Pixabay

Wer heutzutage als Experte für Marketing gelten will, der muss in jedem Fall vorschlagen auf alle konventionelle Methoden zu verzichten und sofort sein ganzes Gewicht auf Werbung im Web zu setzen – genauer gesagt: auf Influencer. 


Der neue Beruf des Influencers ist zwar nicht ganz so neu, aber in jedem Fall genauso überschätzt wie anerkannt. Es ist neben Unternehmensberatern, Werbeagenturen und Reisebüros ein Wirtschaftszweig, wo zuerst bezahlt und dann erst Leistung erbracht wird – und wo echte Erfolgskontrolle faktisch nicht vorhanden ist, also in jedem Fall wieder einmal eine Glaubensfrage.

„Die Aufgabe des Influencer-Marketing-Managers ist es, sich um die gezielte Ansprache und bestmögliche Auswahl der geeigneten Influencer und sämtliche damit verbundene digitale Marketingprojekte zu kümmern. Aber ,Influencing‘ bedeutet heutzutage mehr, als Fotos zu posten und Produkte bekannt zu machen. Nur wenn Sie die gesamte Klaviatur beherrschen, können Sie Influencing erfolgreich betreiben und für die optimale Positionierung der Produkte, Marken oder Dienstleistungen in den verschiedenen Online-Kanälen sorgen.Erlernen Sie das komplette Influencer-Wissen und seien Sie gerüstet für Ihre Karriere im Influencer-Marketing. Werden Sie Influencer-Marketing-Manager und starten Sie durch! Jetzt anmelden zum Fernlehrgang Influencer-Marketing-Manager/-in!“


So beginnt im Internet die Werbung für ein Studium zum Influencer-Manager. Daraus kann man auch die gesamte Palette an Tätigkeiten, die ein Infuencer zu tun hat, ableiten. Wer also Werbung in Social Media buchen will, sollte einen ausgebildeten Manager haben, der die richtigen Leute aussucht, das ist damit gemeint. Wie umfangreich und bedeutend dieser Zweig ist, lässt sich daraus ersehen, dass man damit wirbt, dass die Gehälter dieser Manager über der 10.000er-Marke liegen. In den Influencer-Medien werden Milliarden umgesetzt, so die Werbung. Und dieser Manager hat also die Aufgabe, aus den vielen aktiven Influencern die richtigen für sein Unternehmen herauszusuchen.
Was sind aber Influencer? Man könnte sie vielleicht als Meinungsmacher bezeichnen oder auch als Multiplikatoren von Informationen und Meinungen. In unserem Fall geht es aber um Produkte, Marken oder auch Dienstleistungen, die vermarktet werden müssen und die sich laut dem erwähnten Manager als absolute Notwendigkeit für modernes Marketing erweisen. Was es nicht gibt, sind Erfolgskontrollen der einzelnen Blogs oder Postings. Diese Werbung agiert also schon ein wenig im Niemandsland. Wenn eine der bekanntesten Influencerinnen vier Millionen Abos angibt, dann ist das toll, aber was haben Sie als Werbetreibender davon? 
Haben Sie schon einmal jemanden getroffen, der als Beruf „Influencer“ angibt? Früher, in der guten alten Zeit ohne Internet, nannte man derart tätige Menschen einfach Journalisten. In unserer digitalen Ära sind es Blogger (Experten von irgendwas, die schreiben können bzw. einen Namen haben) oder Vlogger (das ist das gleiche in Rosa – die veröffentlichen allerdings Videos mit Texten), und da gibt es noch Youtuber oder Instagrammer etc. Alle in Prinzip mit journalistischer Tätigkeit, die allerdings sehr käuflich ist. Nicht heimlich, sondern daraus ist ein ganzer Markt entstanden, der laut Experten Milliarden umsetzt. 
Sind es also die konventionellen Medien mit ihren ebenso konventionellen Journalisten, die im Aussterben begriffen sind – ein Dinosaurier-Schicksal? Nicht ganz, gefährdet sind allerdings Printmedien im Bereich der Fachzeitschriften, Special-Interest-Magazine oder Lifestyle, Hochglanz in allen Varianten. Politisch orientierte, so genannte Qualitäts-Printmedien werden ohnehin bereits künstlich am Leben erhalten und kämpfen recht erfolglos gegen den Boulevard und Gratiszeitungen. Aber das wäre eine ganz andere Geschichte. 
Fakt ist, dass die gesamte Szene noch nicht überschaubar ist. Aber wie bei allen Medien, auch im ganz klassischen Bereich, sind die Grunddaten entscheidend. Wie viele kommunikative Kontakte pro ausgegeben Euro, welche Zielgruppe wird erreicht und was ist schlussendlich über den fiktiven „Ladentisch“ gegangen? Viele der prominenteren InfluencerInnen haben einen Medien-Kit mit Zahlen und Resultaten, aber wie bei allen solchen Fazits ist Vorsicht geboten.
Was immer schon eine Marktbeeinflussung durch Meinung war, kann man daher auch heute noch in den Gesellschaftsrubriken der Zeitschriften und in den TV-Highlights nach den Nachrichten beobachten. Was haben die Leute an, wo war eine Eröffnung eines Haute-Couture-Ladens oder was man so darunter versteht? Die Influence-Urzelle! Eine durchaus praktikable Möglichkeit, etwas am Markt zu bewegen, das vielleicht mit der klassischen Werbung schwer möglich erscheint. 
Ein Beispiel gefällig? Die Erfindung der Nylonstrümpfe machte den traditionellen Herstellern von Seidenstrümpfen schwer zu schaffen. Und so verbreitete man mittels vieler Propagandisten und freundlich gesinnter Journalisten das Gerücht, dass Nylonstrümpfe äußerst unangenehmen Ausschlag hervorrufen. Das reichte aus, um die Höhenflug des neuen Produkts zu verlangsamen. In der Schulung sollten nun Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden. Tatsache war, dass die Erzeuger der Nylons nach Hollywood fuhren und dort eine Reihe hochrangiger Diven mit schönen Beinen engagierten. Diese wurden ins rechte Licht gerückt, wunderschöne Fotos gemacht und den Stars die Worte: „… wer trägt den heute noch Seidenstrümpfe!“ in den Mund gelegt. Diese Bilder wurden sowohl in der PR als auch in der klassischen Werbung publiziert. Und was sehr wichtig war, es wurde kein Wort über die Gerüchte verloren – der Rest ist Geschichte. Heute geschehen ähnliche Dinge mit Kleidung, Schuhen und Accessoires. Wenn eine Dame der Gesellschaft etwas in der Öffentlichkeit trägt, so kann man nicht sicher sein, ob das eigener Geschmack oder Teil einer Vereinbarung ist. Denn die Vorbildwirkung (sprich Influence) und der Einfluss auf den Verkauf dieses Produkts sind manchmal unglaublich. 
Derzeit sind vor allem Politikerinnen massiv im Blickfeld. So berichtet erst unlängst der „Kurier“ über die US-Kongressabgeordnete Ocasio-Cortez und ihr Outfit. Sie trug beim Verlassen des Kapitols die „Shopping Bag“ des Designers Telfar Clemens, wobei ein effektvolles Foto gemacht wurde. Dieses Bild wurde auf  ihrer Instagramm-Seite gepostet und erzielte unglaubliche Ergebnisse. Die Suchanfragen schossen laut dem Branchenportal „Lyst“ um 163 Prozent und die Nachfrage nach dem Produkt um 270 Prozent in die Höhe, was der Abgeordneten den Titel „Mächtig­ste Influencerin der Woche“ einbrachte.
 Es ist also durchaus zu empfehlen, die Chancen dieses neuen Mediums zu nutzen, und es gibt auch Institutionen, die den Erfolg messen– aber es ist Unsinn, die vorhandenen Werbemittel ausschließlich in diese Sparte zu investieren. Und  man muss immer im Auge behalten, ob sich das eigene Produkt dafür auch eignet! Das Paradebeispiel für einen erfolgreichen Mix in der Werbung ist Red Bull. Der Getränkekonzern mit einem Umsatz von rund sechs Milliarden wendet laut den jüngsten Zeitungsberichten rund eine Milliarde für Werbung auf. Wer sich das genauer anschaut, wird merken, wie stark dabei die elektronischen Medien eingebunden sind – sowohl im Sportsponsering als auch im gesellschaftlichen Bereich, wo sich Promis beim Konsumieren des Getränks ablichten lassen. Die Experten dieses erfolgreichen Unternehmen wissen genau, wie man Kunden aquiriert und dabei auch den Wettbewerbern wenig Spielraum gibt.
Bei einigen Marken unserer Branche hat sich die Ansicht breitgemacht „Wir machen Schluss mit der bisher üblichen Werbung und gehen nur mehr in Social Media“. Was uns natürlich nicht kalt lässt, schließlich sind wir seit bald 40 Jahren Berichterstatter, Kritiker und Anreger in dieser Branche. Wir haben daher schon einige Krisen hinter uns und haben auch schon einige Dogmen der Beratungsindustrie ad absurdum geführt. Keine Angst, wir werden hier nicht die Werbekeule auspacken, aber sehr wohl obige Aussagen oder Absichten analysieren. 
Werbung ist in dieser Branche noch immer so etwas, wie „… das braucht eigentlich niemand, aber lassen wir sie leben …“! Kaum ein Betrieb im Handel hat ein ständiges Werbebudget, das er je nach aktuellen Notwendigkeiten adaptiert. Kaum ein Erzeuger rechnet bei den Entwicklungskosten für ein neues Produkt auch die notwendigen Einführungskosten mit ein. Was sich besonders in dieser Branche seit Jahren als Hemmnis erweist. Und das Verhältnis zwischen Erzeugern und Einzelhandel ist auch nicht dazu angetan, gemeinsam Kampagnen auf die Beine zu stellen. Die Hersteller müssen ihre Umsätze halten und steigern, was beim Image der Branche immer schwieriger wird. Der stationäre Einzelhandel hat keine Garantie, dass sein Sortiment nicht demnächst beim Kaffeeröster, beim Lebensmitteldiskonter oder im Online-Shop auftaucht und ihm vor allem die jüngere Kundschaft abwirbt. Eine ununterbrochene Preisschlacht tobt schon lange im Geheimen, und wie sich das auswirkt, ist eine andere und ebenfalls nicht sehr lustige Geschichte. 
All das das illustriert, warum die Markenleute in die neuen Medien einsteigen wollen. Um noch unabhängiger vom Handel zu werden, direkter an den Konsumenten zu kommen und dabei auch die Handelsspanne selbst zu lukrieren. Und die zu teuren Werbemittel zu bestrafen, weil sie nicht den Erfolg haben, den man erhofft hatte?! Im Prinzip sind das die Motivationen.
 Aber bitte schauen Sie einmal genau, was diese neuen Kanäle tatsächlich können und was nicht. Haben Sie z.B. schon einmal überlegt, wie es mit der Zielgenauigkeit aussieht? Bei vier Millionen Followern sitzt unter Garantie die Hälfte in Russland oder sonstwo. Wie viele kommen aus Ländern, in denen Ihre Produkte zumindest den notwendigsten Bekanntheitsgrad haben und wo man diese auch erwerben kann? Oder geht es darum, was derzeit so tatkräftig propagiert wird – den stationären Handel durch eigene Online-Shops zu ersetzen? Was natürlich grundsätzlich völlig legitim ist, aber in diesem Bereich ist die Luft auch schon sehr dünn geworden. Und die derzeitigen Hotspots sind die Diskonter, die die Produkte dieser Branche wahnsinnig gerne in der Schnäppchenecke sehen, weil das doch jeder brauchen kann und weil man auch so schön hinschreiben kann „50% günstiger“. Wobei sich diese 50 Prozent auf den Preis beziehen, den der naive stationäre Einzelhändler als „unverbindlich empfohlener Verkaufspreis“ noch immer brav auf seine Etiketten schreibt. Hegen Sie diesen Handel, man wird ihn noch lange als Vergleichsmöglichkeit brauchen! Oder ist der Weg in die Social-Media-Ecke der Versuch, das Umsatzbrot auf beiden Seiten zu bestreichen?
Wir haben seit Jahrzehnten ein Forum geboten, um dem Handel alles Neue nahezubringen und zu dokumentieren, dass man sehr sensibel auf die Marktschreier reagieren muss, um nicht Marken auf den Strich zu schicken. Aber die Unternehmen, die sich um den stationären Einzelhandel bemühen, werden weniger. Manche sagen „… wir haben das nicht mehr notwendig …“ oder „… wir können uns das derzeit nicht leisten …“, andere sagen gar nichts. Aber wer nun glaubt, Werbung, PR etc. bei den InfluencerInnen zu platzieren, würde das Problem lösen, der irrt. Diese Medien erreichen nicht den Wert von Geheimtipps, sondern sind nur erfolgreich mit Produkten der Mode, der Technik oder der Innovationen. Etwas, das diese Branche, so ehrlich sollte man sein, nicht zu bieten hat. Oder glauben Sie, wenn man eine unserer MinisterInnen mit einem Riedel-Glas in der Hand ablichtet, dass dann in Kufstein Überstunden gemacht werden müssen? Nach genauer Analyse der Möglichkeiten, natürlich nur für unsere Branche, möchten wir attestieren: „Es sind des Kaisers neue Kleider“.

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