Dienstag, 30. März 2021

We had a dream …

     



Lassen Sie uns zum vorläufigen Abschluss der kleinen Corona-Serie auch einmal träumen: Nämlich, dass sich durch diese Pandemie auch etwas in der Handelsszene ändert, dass Hersteller vorsichtiger bei der Auswahl ihrer Handelspartner agieren und dass der Facheinzelhandel aus seinem Winterschlaf erwacht. Und dass man in der Politik den Begriff „Digitalisierung“ ernsthaft und nicht nur nach Applaus der Wirtschaft bewertet. Aber das wäre dann ja schon fast eine Vision! 

Bekanntlich sollten ja Leute, die Visionen haben, zum Arzt gehen, aber gilt das auch in dieser Krise? Denn mit normalen Maßnahmen wird nach Beendigung auch der geistigen Quarantäne nichts mehr zu machen sein. Das Magazin, das Sie gerade in der Hand haben, ist ja das beste Beispiel dafür, was Digitalisierung bringen kann. Die Qualität, dies werden Sie uns sicher zugestehen, ist noch immer Ia und niemand wird behaupten, dass das früher besser war – vor dieser verflixten Digitalisierung. Da wurden nämlich noch Manuskripte in die Setzerei getragen, dort gesetzt, und die Fahnen dem Grafiker für den Klebeumbruch in die Hand gedrückt. Da gingen die Fotos (Fotografen brauchen wir auch nur mehr sehr bedingt) noch hin zum Lithografieren, schön mit Filzstift den Ausschnitt angezeichnet. Dann wurden Filme gemacht, dann die Submontage, und zur Kontrolle auch noch ein Proof. Dann kamen wir und haben kontrolliert, Farben bemängelt, über die unverschämten Lithopreise geflucht … und freigegeben. So war es vor dem Druck. Und dann kam die Digitalisierung – und alle die Berufe, wie den Setzer, den Lithografen und auch den Herrn, der die Submontage angefertigt hat – die alle werden Sie nicht mehr finden! Einer sitzt vielleicht noch vor seinem neuen Mac und bastelt Umbrüche. Ein Schicksal wie Fiaker und Taxi – oder eben unvermeidlicher Fortschritt.


Was mit Automatisierung zu tun hat, ist deshalb in der Wirtschaft so begehrt, weil Maschinen nicht krank werden, keine Kinder bekommen und auch nie Gewerkschaftsmitglieder werden. Dass sie außerdem auch keine Lohnsteuer bezahlen und leistungsfähiger sind als jeder Akkordarbeiter, ist ein ökonomisch angenehmer Nebeneffekt. Jetzt hat also Technologie und Philosophie auch den Handel erreicht. Amazon spricht ja von sich selbst immer von einem Logistikunternehmen, nie von einem Handelshaus. 
Wenn sich in Österreich Kammer und Ministerium den Kopf zerbrechen und dem Handel raten, ebenfalls einen Onlineshop (gefördert) zu installieren, dann sollten sie vielleicht auch auf diese Umstände hinweisen: Man braucht nämlich nicht nur entsprechende Ware, sondern auch dementsprechende Verpackungsmittel, ein EDV-gesteuertes Lagersystem und entsprechende Versandkapazitäten. Den Lehrbuben (es tut mir leid, aber Lehrmädchen werden seltener mit Packeln auf die Post geschickt) am Abend mit den Paketen zur Post zu schicken, wird kaum wirkliche Konkurrenzfähigkeit bringen. Für ein bisserl Nischenmarketing mag das reichen – warum auch nicht. Aber ein Strukturproblem zu lösen, wie wir es jetzt massiv zu sehen bekommen, dafür reicht Nischenpolitik sicher nicht aus.
Lassen sie uns noch ein bisschen in großer Handelspolitik herumschnüffeln. Denn man muss sich ja die Frage auch einmal stellen, „Warum soll man eigentlich den stationären Einzelhandel schützen, behüten und fördern?“ Dem Konsumenten ist der doch völlig egal, der kauft dort, wo es für ihn am günstigsten und besten erscheint. Es ist doch Klasse, sogar am WC am Tablet zu surfen und  sich ein neues Gewand auszusuchen, das dann noch dazu in Schlapfen bestellen zu können und, wenn es nicht passt oder plötzlich nicht mehr so attraktiv erscheint, einfach zurück zu schicken. Kostenlos! 
Bin ich der Hüter des stationären Handels? Was tut der denn für meine Bequemlichkeit? Und da gebe ich einfach ein Stichwort ein und Freund Computer zeigt mir die ganze Auswahl mit Preis und Qualitätshinweisen – verbindlich! Nicht wie letztens im Möbelgeschäft, wo die Verkäuferin nicht wusste (Leider eine wahre Geschichte. Anm.d.Red.), was oder wer Kahla ist. Dabei hat man dieses Porzellan im Sortiment gehabt. Dem PC wäre das nicht passiert. Und glauben Sie bitte nicht an die große Story der Unternehmensberater, die immer von der notwendigen Fachberatung sprechen, das ist Schimäre – Konsumenten unseres Zeitalters (also die Kerngruppe 15 bis 49 Jahre) empfinden so genannte Beratung als lästig. Antworten auf gezielte Fragen ja – unerwünschte Lobpreisungen nein! Warum also sollen wir Nos-talgiker diesen Handel schützen, nur weil wir gute Erinnerungen an die legendären Geschäfte der 50er-Jahre haben? 
Ein kleiner Rückblick: In der Nachkriegszeit, nach dem Wegfall von Lebensmittelmarken und der Möglichkeit, wieder Auftischen zu können, erlebte diese Branche einen unheimlichen Höhenflug. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit haben die Tageszeitungen umfangreiche Befragungen durchgeführt, und Produkte für den gedecktenTisch standen auf den Wunschzetteln von Frau und Herrn Österreicher an prominenter dritter Stelle. Es war keine Seltenheit, dass die attraktiven Läden der Stadt zu Weihnachten rund 60 Prozent ihres Jahresumsatzes machten und zum Silbernen oder Goldenen Sonntag (ja, so etwas gab es einmal) Geschäfte wegen Überfüllung polizeilich geschlossen werden mussten. 
So weit die Nostalgie, aber die derzeitige Veränderung des Interesses an GPK-Produkten wird mit Nostalgie nicht zu lösen sein. Was allerdings nicht dem Onlinehandel in die Schuhe geschoben werden kann, der hat nur das generelle Ab­flauen der Frequenz im „Basar Österreich“ deutlich gemacht. Also nochmal – warum sollen wir uns bemühen, den stationären Handel am Leben zu erhalten? Für die Nahversorgung reichen die derzeitigen Ketten des Lebensmittelhandels durchaus aus. Dazu kommt, dass diese Läden längst die früheren Methoden des „Gemischtwarenhandels“ übernommen haben. Wenn ich rasch eine billige Jeans brauche, kann ich auch durchaus zum Hofer gehen und dabei gleich eine Urlaubsreise buchen, wenn ich von der Backstube die Semmeln hole. Dass das ausreicht, hat die Pandemie sogar am Muttertag gezeigt, wo die Blumenhändler kübelweise Blumen entsorgen mussten, aber die Lebensmitteldiskonter Blumensträuße en masse verkauften. Sie und die Onlineshops haben auch während des Lockdowns das Treiben am Leben erhalten. Nicht zu vergessen die Hochkonjunktur der Post, die sich auf einen Jahresumschlag von 300 Millionen Paketen einstellt.
Es ist logistisch wirklich nicht leicht für den stationären Handel, auf die Barrikaden zu steigen, noch dazu, wenn ein Großteil aus internationalen Filialisten besteht, die von Helsinki bis Neapel die Fußgängerzonen uniformieren. Trotzdem – unser gesamtes soziales Leben, das Flanieren im urbanen Raum, die Gastronomie, eben die westliche Form des Basars als Mittel- und Treffpunkt, gehört zu unserer Lebensqualität. 
Vielleicht kommen auch die derzeitigen Nerds einmal dahinter, was ihnen entgeht, man müsste es vielleicht nur besser sichtbar machen. Nicht zu vergessen, dass Immobilien zur derzeit besten Anlageform gehören. Was würde geschehen, wenn diese durch das Ausbleiben der geplanten Geschäftsmieten absacken, wenn immer mehr leerstehende Geschäfte auch die Attraktivität bestehender Geschäftsstraßen verändern würden? 
Schauen Sie sich um: In der Vorstadt versucht man in ehemals prosperierenden Geschäfts­straßen die Lücken zu verdecken. Da kommen plötzlich Bestattungsunternehmen oder Tierkliniken in die Lokale, Realbüros mit Angeboten von Wochenendhäusern usw. Und die unvermeidlichen Küchenstudios, Kebabläden und türkischen Lebensmittelgeschäfte ersetzen z.B. die verschwundenen Herren- und Damenmode­geschäfte, die Schuhläden, den Juwelier, die Bäckerei und den einst viel frequentierten Fleischhauer. Kommentar überflüßig!
Wir möchten aber nochmals auf unseren Bereich zurückkommen. Wir sind eine kleine, aber wie wir glauben, kompetente Fachzeitschrift alter Prägung, Motto: „Schuster bleib bei deinen Leisten“. Also, was macht den GPK-Bereich so besonders anfällig? Wir haben einmal auf einer deutschen Messe mit den Verbandsleuten gesprochen, die über das Händlersterben diskutierten. Es ist schon eine Zeit her, aber der Verband beklagte in Deutschland das Verschwinden von 3.000 GPK-Geschäften. Das Schreckliche für die Kollegen war, das anscheinend niemand diese Geschäfte vermisste, außer dem Verband und den Fachzeitschriften. Man könnte durchaus sagen, dass dieser Schwund im DACH-Markt üblich war. Marktanteile sind zum Möbelhandel, zu den Schnäppchen-Läden und wahrscheinlich auch in den Onlineshop gewandert. Nicht zu vergessen, dass der bestehende Versandhandel auch schon jahrelang an diesen Sortimenten mitgenascht hat. Ganz zu schweigen von den sogenannten Fabriksniederlassungen, die mit den eingeschränkten eigenen Produktpaletten durchaus erfolgreich waren. Also kann man ruhig behaupten, dass vorher eigentlich zu viele Geschäfte am Markt waren Und man hätte dabei auch nicht unrecht. 
Aber jetzt wird es kritisch, denn für die Markenfirmen wird die Luft immer dünner. Die Großvertriebsformen machen das, was sie in anderen Bereichen schon getan haben – sie bauen sich Eigenmarken auf. Mit ihrer Frequenz an Kunden und den Werbemöglichkeiten hat man sich erst mit bestehenden Marken das nötige Image verschafft, um jetzt mit Eigenkreationen Kasse zu machen. Und der Onlinehandel ist ein Diktator, der sich Lieferanten aussuchen kann wie er will und wie er sie braucht – Aufbau eines Markenimages ist dabei nicht erwünscht. 
Der einzige, der dieses Image braucht, ist der mittelständische kompetente Einzelhandel. Hier, und nur hier, sitzen beide im gleichen Boot: der Hersteller und der Händler. Es wird in dieser Branche wahrscheinlich nie einen Filialisten geben, aber durchaus förderungswürdige Ansätze von gemeinschaftlichen Geschäften. Denn wenn nur den bestehenden großen Vertriebsorganisationen das Feld überlassen wird, dann kann man sich ausrechnen, wie die Produktion von Eigenmarken in ferne Zonen verschwindet und derzeitiges Personal durch digitalisierte „Logistikunternehmen“ ersetzt wird. Und niemand kann wirklich wollen, dass unsere Städte mit  leerstehenden Geschäften gepflastert sind, die man ja auch nicht alle einfach mit Souvenirbedarf füllen kann. 

We had a dream
Verehrte Hersteller, überlegt, ob es sich nicht lohnt, auf das Pferd stationärer Handel zu setzen und diesem auch eine gewissen Exklusivität zu garantieren, damit Euer Markenimage nicht nur als Lockvogel missbraucht wird. Und Ihr Händler denkt daran, dass diese Exklusivität auch Engagement benötigt, um am Markt wirksam zu werden, und sagt es laut, dass das, was zur Schnäppchenjagd einlädt, eigentlich Schrott ist. Allen Entscheidungsträgern für das Förderwesen möchten wir raten, sich nicht vom ach so modischen Schlagwort „Digitalisierung“ einlullen zu lassen. Denn eines ist sicher – der Wert der menschlichen Arbeitskraft ist in der digitalisierten Wirtschaft nicht sehr groß, also fördert doch bitte nach dieser Krise eher Zweige, wo die noch gefragt und gebraucht wird, und nicht die, wo sie ersetzt werden soll. Computer zahlen keine Lohnsteuer und konsumieren auch nix …

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen